Anne Fontaine

Mein liebster Alptraum

Galanter Ritter trägt seine Angebetete: Patrick (Benoît Poelvoorde) und Agathe (Isabelle Huppert). Foto: © 2011 Concorde Filmverleih
(Kinostart: 19.1.) Arrogante Galeristin verguckt sich in umtriebigen Proleten: Nach ihrem Biopic «Coco Chanel» legt Regisseurin Fontaine eine typisch französische Liebes-Utopie vor – mit vielen Klischees und wenig Raffinesse.

Agathe (Isabelle Huppert) ist Chefin einer Galerie für moderne Kunst. Sie lebt stilvoll mit ihrem Mann François (André Dussollier) und Sohn Adrien in einer Pariser Altbau-Wohnung. Madame könnte sich glücklich schätzen, wäre nicht ihr Liebesleben erkaltet. Herrisch kommandiert sie ihre Angestellten herum; ihren Gatten siezt sie.

Info

Mein liebster Alptraum – Mon pire cauchemar

 

Regie: Anne Fontaine, 103 min., Frankreich/ Belgien 2011;
mit: Isabelle Huppert, Benoît Poelvoorde, André Dussollier

 

Website zum Film


Am Elterntag macht Agathe ihrem Frust über Adriens schlechte Schulnoten Luft; dabei lernt sie Patrick (Benoît Poelvoorde) als beharrlichen Widersacher kennen. Der steht tags darauf unangekündigt auf ihrer Türmatte: Patricks Sohn Tony ist Adriens bester Freund.

 

Rendezvous bei IKEA

 

Patrick trinkt, ist laut und wird ob akuter Wohnungsnot vom Jugendamt verfolgt. Dennoch engagiert François ihn wegen seines handwerklichen Geschicks für den Umbau von Agathes Ankleide-Zimmer. Patrick kommt nicht weit und rät ihr zum Schrank-Kauf. Ein Besuch bei IKEA wird für die beiden Einzelgänger unvorhergesehen zum Rendezvous.


Offizieller Film-Trailer


 

Sozialromantische Film-Tradition

 

Damit nicht genug: Regisseurin Anne Fontaine fügt ein zweites Tête-à-tête ein. François lernt durch Patrick die Vegetarierin Julie (Virginie Efira) kennen. Die  naturverbundene Schönheit ist trotz etwa 20 Jahre Altersunterschied von dem intellektuellen Verleger hingerissen. Gegensätze ziehen sich an, und zarte Gefühle überwinden Standes-Dünkel wie Charakter-Unterschiede: Diese sozialromantische Weltsicht hat im französischen Film Tradition.

 

Mit Erfolg: Die aktuelle Komödie «Ziemlich beste Freunde» über einen reichen Behinderten und seinen schwarzen Pfleger zählt in Frankreich zu den drei größten Kassenschlagern aller Zeiten; derzeit führt sie auch die deutschen Kino-Charts an. Der Standard-Plot einer amour fou über alle sozialen Schranken hinweg verbindet Klassenkampf-Burlesken wie «Mein Stück vom Kuchen» von Cédric Klapisch mit subtilen Kammerspielen wie «Mademoiselle Chambon» von Stephane Brizé oder «Rückkehr ans Meer – Le refuge» von François Ozon.

 

Durst nach erotischer Abwechslung

 

Die märchenhafte Genre-Regel, dass wahre Liebe keine Grenzen kennt, bedient Regisseurin Fontaine mit Wonne – und schert sich nicht um Plausibilität. Als sei es selbstverständlich, dass zwei versnobte Bourgeois ihre Herzen einem Proleten und einer jungen Tee-Fanatikerin schenken. Sobald die Liebeleien fruchtbar werden, ist das Leinwand-Glück perfekt.

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Mein Stück vom Kuchen" von Cédric Klapisch

 

und hier einen kultiversum-Hymne auf "Mademoiselle Chambon" von Stephane Brizé

 

und hier einen Beitrag über "Rückkehr ans Meer - Le refuge" von François Ozon.


«Mein liebster Alptraum» lebt von der eindrucksvollen Leistung seiner Hauptdarsteller. Allen voran Isabelle Huppert, der Grande Dame des französischen Autorenfilms; sie war hierzulande zuletzt als Fotografin und rücksichtslose Mutter in «I’m not a f**king princess»  zu sehen. Diesmal mimt sie eine Kunst-Liebhaberin, der nach erotischer Abwechslung dürstet: Feinfühlig stellt sie den allmählich wegsickernden Hochmut ihrer Figur dar.

 

Auto-Waschanlage samt Bordell

 

Doch der Film leidet unter abfallender Spannung: Nach der stimmungsvollen ersten Hälfte spult sich die zweite schnurgerade ab – mit vielen Klischees und wenig Raffinessen. Lässt sich das selbstverliebte Künstler-Milieu in Agathes Umfeld noch halbwegs ertragen, wirken die Szenen an Patricks Arbeitsplatz, einer Auto-Waschanlage samt Bordell, reichlich platt. Zudem wird die zweite love story arg konstruiert in die Handlung eingebaut. So bekommt diese Utopie der Liebe einen zähen Beigeschmack.