Yony Leyser

William S. Burroughs: A Man Within

Just the man and his text: William S. Burroughs bei einer Audio-Aufnahme. Foto: Neue Visionen
(Kinostart: 12.1.) Doku-Hommage an den Prototyp aller Freaks: Die halbe US-Avantgarde der 1970/80er Jahre preist in Interviews den literarischen Tabu-Brecher, Junkie und Waffen-Narren. Allerdings ohne Burroughs' Selbstironie.

William S. Burroughs (1914 – 1997) könnte einem Kino-Märchen von Tim Burton entsprungen sein. Hager, gebeugt und mit behüteter Halbglatze spazierte er als Mischung aus Mann von Welt und komischem Kauz umher. Stets griffbereit hatte er eine geladene «Smith & Wesson», ein Klappmesser und einen Gehstock; aus ihm schnellte auf Knopfdruck ein Schwert heraus – für alle Fälle.

 

Info

William S. Burroughs: A Man Within

Regie: Yony Leyser, 87 min., USA 2011;
mit: Allen Ginsberg, Andy Warhol, David Cronenberg

 

Englische Website zum Film


Über diese drogensüchtige und einsame Galionsfigur des Underground hat Yony Leyser seinen Debütfilm gedreht. Darin wendet er Burroughs‘ berühmte Cut-up-Technik der zufälligen Montage auf diesen selbst an: Seine Doku-Hommage besteht aus Archiv-Material und etlichen Interviews.

 

Die Liste der Mitwirkenden liest sich wie ein Who is who der US-Avantgarde in den 1970/80er Jahren: Allen Ginsberg und Andy Warhol treten ebenso auf wie die Musiker Iggy Pop und Patti Smith, Grant Hart von «Hüsker Dü», Genesis P. Orridge von «Psychic TV», Jello Biafra von den «Dead Kennedys», Lee Ranaldo und Thurston Moore von «Sonic Youth», die Regisseure John Waters, Gus van Sant und David Cronenberg – der Burroughs Hauptwerk «Naked Lunch» 1991 kongenial verfilmte – und viele mehr.


Offizieller Film-Trailer


 

Pate aller Punks

 

Der Film konzentriert sich auf Burroughs’ Biographie und präsentiert sein literarisches Werk nur am Rand. Zehn Kapitel schildern seinen Werdegang vom Sohn eines Geschenkladen-Besitzers zum exzentrischen Grenzgänger und Visionär. Burroughs’ hemmungsloser Lebensstil nah am Abgrund bietet dafür reichlich Stoff.

 

Im Wortsinne: Nach dem Studium in Harvard tauchte er in die Drogen- und Schwulen-Szene von New York ein. Dort lernte er Allen Ginsberg und Jack Kerouac kennen. Im literarischen Dreigestirn der Beat Generation war Burroughs der Älteste. Er gab sich antiautoritär und politisch inkorrekt, prägte Begriffe wie «Heavy Metal» oder «Blade Runner» und beschrieb Punkrock, bevor es den gab; damit wurde er ungewollt zum Paten aller Punks.

 

Wilhelm Tell mit Kaliber .45

 

Diese schillernde Figur hasste jede Etikettierung. Die Schwulenbewegung mied er; dennoch berief sie sich auf ihn, ebenso wie die Hippies. Er wurde in Schubladen gesteckt, aber stieß sie immer wieder auf – mit obszönen Texten über Kindsmord, Pädophilie und seine Hetero-Ehe, die sich wie Komödien lesen, oder Lobgesängen auf Heroin-Eskapaden.

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Eine dunkle Begierde" über C.G. Jung und Sigmund Freud von David Cronenberg

 

und hier einen Bericht über den Film "Restless" mit Mia Wasikowska von Gus van Sant

 

und hier einen kultiversum-Beitrag zum Doku-Drama "Howl - Das Geheul" über das gleichnamige Gedicht von Allen Ginsberg


Natürlich erfährt man auch manches über den berüchtigten Waffen-Narren. Burroughs beherrschte mehrere Kampfkünste und füllte sein Haus mit Schusswaffen samt Munition. Dabei blieb seine Frau auf der Strecke: Er wollte betrunken den Wilhelm Tell spielen und traf mit Kaliber .45 anstelle eines Gin-Glases ihren Kopf. Ob solche und andere Missetaten ihn innerlich zermürbten, bleibt unklar. Burroughs versteckte seine Gefühle meist hinter satirischer Distanziertheit.

 

Anzug-Weste ohne Flecken

 

Fantastische Anekdoten und aufregende Aufnahmen montiert der Regisseur zu einer wilden Mixtur, die kaum Zeit lässt, alle Eindrücke zu verdauen. Dabei blendet Leyser kritische Stimmen oder verborgene Flecken auf Burroughs makelloser Anzug-Weste aus: Der Freak im Dreiteiler vernachlässigte sich und seinen Sohn, doch seine Freunde und Weggefährten preisen ihn ausnahmslos als verrückten Heiligen.

 

Damit gerät «A Man Within» zur einseitigen Legenden-Ehrung. Doch Burroughs war ebenso genial wie irre – und maskierte beides mit Selbstironie. Ein wenig von der darin enthaltenen Distanz hätte auch dieser Hommage gut getan; so bleibt ein fader Nachgeschmack.