Berlin

Eva Besnyö: Fotografin 1910-2003

Eva Besnyö: Selbstportrait, Berlin 1931. Foto: © Eva Besnyö/Maria Austria Instituut Amsterdam
Von der Kunst, rechtzeitig ins Exil zu gehen: Die ungarische Jüdin Eva Besnyö emigrierte in den 1930er Jahren von Budapest über Berlin nach Amsterdam. Ihr hierzulande fast unbekanntes Werk stellt die Berlinische Galerie ausführlich vor.

Ungarn hat eine unrühmliche Tradition, seine besten Köpfe außer Landes zu treiben. Schon in der Zwischenkriegszeit wanderten Künstler und Intellektuelle scharenweise aus, um der repressiven Politik der antisemitisch-reaktionären Horthy-Diktatur zu entfliehen – darunter einige Fotografen, die später Weltruhm erlangten.

 

Info

Eva Besnyö -
Fotografin 1910-2003 -
Budapest-Berlin-Amsterdam

 

28.10.2011 - 27.02.2012
täglich außer dienstags 10 bis 18 Uhr in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstr. 124 - 128, Berlin

 

Katalog 39,90 €

 

Weitere Informationen

Manche wie André Kertész und Brassaï gingen nach Paris, andere wie Laszlo Mohóly-Nagy, Martin Munkácsi und Robert Capa – geboren als Endre Friedmann – nach Berlin. Dorthin zog es im Herbst 1930 nach ihrer Fotografen-Lehre in Budapest auch die 20-jährige Eva Besnyö, Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts. Ihr Aufenthalt sollte nur zwei Jahre währen, doch ihr Leben und Werk entscheidend prägen.

 

Chef publiziert unter seinem Namen

 

Besnyö fand eine Anstellung bei einem Pressefotografen, unter dessen Namen ihre Arbeiten veröffentlicht wurden. Täglich durchstreifte sie die Straßen der Reichshauptstadt und nahm auf, was ihr bemerkenswert erschien: flüchtige Augenblicke und markante Details.


Impressionen der Ausstellung


 

Draufsicht und Rücken-Ansichten

 

Im Stil des «Neuen Sehens», dessen Vorreiter Alfred Renger-Patzsch sie für die Fotografie begeistert hatte – mit ungewöhnlichen Perspektiven und harten Hell-Dunkel-Kontrasten. Diese Prinzipien wandte Besnyö auf alltägliche Straßenszenen an; Passanten und Fahrzeuge lichtete sie gern in extremer Draufsicht ab.

 

Damit fing sie das quirlige Leben in der Metropole ein: Eine turbulente Bilderserie voller Holzbohlen, Baumaterial und Rudeln von Arbeitern entpuppt sich als Dokumentation des U-Bahn-Baus am Alexanderplatz. Häufig kehren anonyme Figuren ihren Rücken dem Betrachter zu, während sie mitten in der Bewegung festgehalten sind.

 

Ausreise vor NS-Machtübernahme

 

Im Sommer 1931 richtete die Fotografin ihr eigenes Atelier ein und belieferte Bild-Agenturen. Doch nur ein Jahr später gab sie alles wieder auf: Monate vor Hitlers Machtübernahme war ihr klar, dass sie als Jüdin in Deutschland keine Zukunft hatte. Besnyö übersiedelte nach Amsterdam.

 

Dort etablierte sie sich rasch. Bereits 1933 eröffnete sie ihre erste Einzelausstellung in einer renommierten Galerie. Nun konzentrierte sie sich auf Architektur-Fotografie: In ihren geometrischen Kompositionen kamen moderne Bauhaus-Bauten gut zur Geltung. Oft nutzte sie lange Schlagschatten, um Landschafts-Aufnahmen starke Tiefenwirkung zu verleihen.

 

Werkschau des «Verborgenen Museums»

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension der Retrospektive "André Kertész – Fotografien" im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Brassaï Brassaï. Im Atelier & Auf der Straße" im Museum Berggruen, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Martin Munkacsi: Think while you shoot" im Kunstfoyer der Versicherungskammer Bayern, München

 

und hier einen kultiversum-Bericht über die Ausstellung "Marianne Breslauer: Fotografien 1927 - 1936" in der Berlinischen Galerie

Daneben engagierte sie sich für soziale Belange und gegen die Nazi-Diktatur. Nachdem 1940 die Wehrmacht einmarschiert war, musste sie untertauchen. 1944 gelang es ihr, mit Hilfe einer fingierten «Arisierung» der Deportation zu entgehen. Nach dem Krieg avancierte sie zur führenden Fotografin der Niederlande – und begleitete in den 1970er Jahren die dortige Frauenbewegung mit der Kamera.

 

Diese ungewöhnlich agile und unabhängige Fotografin ist hierzulande praktisch unbekannt. Das soll die erste ihr gewidmete Retrospektive ändern, die in der Berlinischen Galerie vom «Verborgenen Museum» ausgerichtet wird; seit einem Vierteljahrhundert dokumentiert dieser Verein das Wirken von zu Unrecht vergessenen oder vernachlässigten Künstlerinnen.

 

Nüchtern-sachliche Präsentation

 

Rund 120 Arbeiten stellen alle Schaffensphasen vor – sie werden so nüchtern und sachlich gewürdigt, wie es der Bildsprache von Besnyö entspricht. Sie trat keine ästhetische Revolution los, aber beherrschte ihr Handwerk virtuos. Und deckte mit der Wahl ihrer Motive eine Bandbreite ab, die nahezu alle Genres umfasst – wobei sie den geläufigen Standards neusachlicher Fotografie stets ihre individuelle Handschrift verlieh.