
Frankreich kennt ein Zeitschriften-Genre, das es in Deutschland nicht gibt: Lettres de confession, also «Bekenntnis-Briefe». Jeder Kiosk bietet ein halbes Dutzend dieser Monats-Hefte feil. Alle enthalten – angeblich wahre, aber meist wohl erfundene – intime Bekenntnisse von Männern und Frauen: mit wem, wo und unter welchen Umständen sie es neulich getrieben haben, und wie sie sich dabei fühlten.
Info
Das bessere Leben - Elles
Regie: Małgorzata Szumowska, 96 min., Polen/ Frankreich/ Deutschland 2011;
mit: Juliette Binoche, Anaïs Demoustier, Joanna Kulig
Mögen Sie Brüste anfassen nicht?
Beide geben bereitwillig Auskunft – und lassen die küchenpsychologischen Fragen der Reporterin, die pikante Details herauskitzeln will, abgeklärt an sich abtropfen. Das klingt etwa so: «Wenn die Ihre Brüste anfassen, mögen Sie das? Haben Sie das Gefühl, Sie dominieren? Gibt Ihnen das ein Gefühl von Macht?». Antwort von Alicja: «Mögen Sie das etwa nicht?»
Offizieller Film-Trailer
Manche Freier sind nett, andere nicht
Ähnlich aufregend sind die übrigen Enthüllungen der Escort-Girls: Manche Kunden sind aufmerksam und liebenswürdig; andere weniger. Die älteren langweilen sich oft in ihrer Ehe. Viele Männer reden darüber, was sie beschäftigt: Arbeit, Frau und Familie. Andere wollen begehrt werden und «schmutzige Worte» hören. Bettgeschichten eben, so alltäglich wie banal.
Nicht jedoch für die Journalistin: Die Einsicht, dass Töchter aus gutem Hause und ihre wohl erzogenen Freier sich bei bezahltem Sex kaum anders verhalten als sonst, wirft sie ziemlich aus der Bahn. Anne ist nämlich BCBG, wie es umgangssprachlich heißt: bon chic, bon genre.
Tagträumereien genügen
Arriviert und kultiviert, lebt sie mit ihrem netten Ehemann Patrick – der sie leicht vernachlässigt – und dem pubertierenden Sohn – der im Kinderzimmer kifft – in einer schicken Wohnung: Pariser Bourgeoisie comme il faut. Ihre größte Sorge ist, dass Patrick den Wein zum abendlichen diner vergisst.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Kritik des Films "Shame" von Steve McQueen mit Michael Fassbender über Sex-Sucht
und hier eine Besprechung des Beziehungs-Dramas "Die Liebesfälscher" von Abbas Kiarostami mit Juliette Binoche
und hier einen Beitrag über die Doku “Whores’ Glory – Ein Triptychon” von Michael Glawogger über Prostitution weltweit
und hier einen Bericht zum Film “Shopping Girls – Galerianki” von Katarzyna Rosłaniec über Teenie-Prostitution in Polen.
Wie Kino-Ausgabe von Cosmopolitan
Diese Karrierefrau und Mutter in der midlife crisis spielt Juliette Binoche gewohnt nuanciert. Doch auch sie kann das schwache Drehbuch nicht ausgleichen: Es umkreist das Phänomen Prostitution so oberflächlich wie jeder x-beliebige «Insider-Report» aus dem Rotlicht-Milieu. Dazu passt die Hochglanz-Optik, die Regisseurin Szumowska ihrem Film verpasst – als sei’s eine Kino-Sonderausgabe von Cosmopolitan.
Deren Leserinnen scheinen die Zielgruppe dieser erotischen Petitesse zu sein: lebenslustige Frauen, die mit Affären liebäugeln, sich aber nicht trauen. Oder potentielle Leser von Bekenntnis-Zeitschriften, die derlei hierzulande bislang vermissen müssen. Vielleicht bringt ein findiger Verleger bald das «Heft zum Film» auf den Markt. Arbeitstitel: «Das bessere Leben – junge Hobby-Huren erzählen, wie es wirklich ist».