Béla Tarr

Das Turiner Pferd – A Torinói Ló

Hinter Laub und Staub keine Welt: Erika Bók blickt nach draußen in den tobenden Sturm. Foto: Basis Film-Verleih
(Kinostart: 15.3.) Ein schöner Film über das Ende der Welt: Mit nur 29 Einstellungen in zweieinhalb Stunden entfaltet Regisseur Béla Tarr eine Apokalypse in Zeitlupe. Seine nihilistische Allegorie erhielt 2011 den Silbernen Bären.

Siebeneinhalbstündige Roman-Verfilmung

 

Doch mehren sich Vorzeichen des Niedergangs: Das Pferd verweigert den Dienst im Joch, frisst und säuft nicht mehr. Holzwürmer hören auf, das Gebälk zu zernagen. Der Brunnen versiegt, so dass Vater und Tochter vor der Dürre fliehen. Sie kommen nicht weit: Kaum sind sie hinter dem nächsten Hügel verschwunden, kehren sie schon wieder zurück. Bald erlöschen das Herdfeuer, dann die Petroleum-Lampen und endlich jedes Licht.

 

Alles an diesem Film ist vieldeutige Allegorie, die er in extrem langen Einstellungen ausbreitet. Sie sind Tarrs Markenzeichen. «Satanstango» von 1994, mit dem er international bekannt wurde, bebildert den gleichnamigen Roman von László Krasznahorkai quasi in Echtzeit: Mit siebeneinhalb Stunden dauert der Film genau so lange, wie der Regisseur für die Lektüre der Vorlage benötigte.

 

Rhythmus des Daseins im Verfall

 

Wobei er unscheinbare Details in den Mittelpunkt rückt: Spuren im Schlamm, die Maserung von Holz oder das Züngeln einer Flamme. Sein so lang- wie gleichmütiges Verweilen bei der Textur der Dinge entfaltet eine meditative Atmosphäre, die den Rhythmus des Daseins in seinem Verfall aufzeichnet: Alles verwittert und zerstäubt.

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie eine Besprechung der Ausstellung "Eva Besnyö: Fotografin 1910-2003" aus Ungarn in der Berlinischen Galerie

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Der Stand der Bilder" über Zbigniew Rybczyński und den ungarischen Video-Pionier Gábor Bódy in der Berliner Akademie der Künste und dem ZKM, Karlsruhe.

Diese Apokalypse in Zeitlupe ist keineswegs amorph, sondern sorgfältig arrangiert: aus klassischen Bild-Kompositionen mit ausgefeilter Lichtführung wie auf Gemälden Alter Meister. Oder wie in den Kino-Epen von Andrej Tarkowski, der mit ausgedehnten Plansequenzen ebenfalls die Aufmerksamkeit auf die Fülle der Erscheinungen lenkte.

 

Nietzsche ebenbürtiger Nihilismus

 

Während beim russischen Film-Visionär aber hinter den Oberflächen des Sichtbaren stets die Hoffnung durchschien, dem wohne ein Sinn inne, verzichtet Tarr völlig darauf: Er registriert nur unbarmherzig die Zersetzung allen Seins als conditio humana. Was in einen Nihilismus mündet, der dem großen Illusionen-Zertrümmerer Nietzsche ebenbürtig ist.

 

Insofern erweist sich die hoch trabende Bedeutungshuberei des Titels als berechtigt: für ein minimalistisches Endspiel als ebenso außergewöhnliche wie aufreibende Seh-Erfahrung. «Das Turiner Pferd» sei sein letzter Film, erklärt der rigorose Einzelgänger: Mehr habe er nicht zu sagen. In seiner kompromisslosen Konzentration auf das ihm Wesentliche ist sein Werk einzigartig – und der Große Preis der Jury bei der Berlinale 2011 eine verdiente Würdigung.