Martin Gerner

Generation Kunduz – Der Krieg der Anderen

Rummelplatz im Staub: Kinder-Karussell in Kunduz. Foto: Martin Gerner
(Kinostart: 15.3.) Ganz dicht dran und zu weit weg: Martin Gerner porträtiert junge Afghanen und ihr Leben im Kriegszustand. Die verschachtelte Montage-Doku aus O-Tönen bietet seltene Einblicke in ihren Alltag – ohne Kommentar.

Panzerwagen provozieren Taliban-Überläufer

 

Plötzlich fahren ein paar deutsche, schwer gepanzerte Wagen – Dingos genannt – durch die Straßen: riesige Fahrzeuge, aus der Sicht von Afghanen Ungetüme. Die verbreiteten Angst, erzählt Hasib, und schürten Wut. Insbesondere wenn Zivilisten bei Unfällen getötet würden: Das provoziere geradezu Überläufer zu den Taliban.

 

So beiläufig wie willkürlich werden die Geschichten vom Schuhputzer Mirwais, dem Wahlhelfer Hasib, der Radiofrau Nazanin und den Jung-Regisseuren Ghulam und Khatera ineinander verschachtelt. Hinzu kommen ebenso zwanglos Polizistinnen, die von ihren lebensgefährlichen Einsätzen erzählen.

 

Tote Afghanen interessieren keinen

 

Und als Hintergrund-Folie immer mal wieder die grausame Geschichte vom deutschen Angriff auf die von den Taliban entführten Tank-Lastwagen, bei denen 90 Menschen starben – bei einer einzigen Auseinandersetzung fast doppelt so viele wie Bundeswehr-Soldaten während der gesamten Kriegsjahre. Ein Vater berichtet da unvermittelt von vier Söhnen und vier Cousins, die beim Angriff starben.

 

Die junge Radio-Reporterin Nazanin erzählt später: Wenn ein Deutscher sterbe, würde das überall gesendet. Wenn Afghanen stürben, dann interessiere das keinen. Das stimmt und stimmt auch wieder nicht. Gerade das Bombardement von Kunduz hat hierzulande für heftige Diskussionen gesorgt.

 

Weder Fragen noch Nachfragen

 

Jede einzelne Figur würde man gerne näher kennen lernen. Aber Filmemacher Martin Gerner traut der Kraft ihrer Geschichten ebenso wenig wie seinen oft starken Bildern. Er wagt weder journalistische Fragen noch Nachfragen, wie sehr man sich auch danach sehnt.

 

So bleibt es anstrengend, sich diesen Film zusammen zu reimen. Hätte Gerner seine Bilder kommentiert, dann wäre ihm wohl aufgefallen, dass er alles zu dicht und zu hektisch gestrickt hat. Er kommt zugleich ganz dicht dran und bleibt doch zu weit weg.

 

Keine Love-Story, nur Applaus

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung der Doku "Im Bazar der Geschlechter" von Subadeh Mortezai über die Ehe auf Zeit im Iran.

Das ist ein Jammer, denn neben den vielen Filmen über das Feldlager- und Patrouillen-Leben der Bundeswehr-Soldaten gibt es wenige, denen es gelingt, ein Blick auf junge Afghanen zu werfen – das Afghanistan, um das es geht. Ashwin Raman etwa ist das geglückt: In seiner ARD-Dokumentation «An vordersten Fronten – Kriegsalltag in Afghanistan» hält er das Disparate durch seine Reporterfigur zusammen.

 

Gegen Ende der Dokumentation präsentieren die beiden Jung-Filmer Ghulum und Khatera ihren Spielfilm, eine Love-Story. Wir haben leider auch hier wenig über die Handlung erfahren, erleben nur ein wenig Applaus nach der Vorführung – das war’s.

 

Umsonst-Kultur ist unklug

 

Ob der Film verkäuflich sei, betont Regisseur Ghulam in der anschließenden Diskussion vor Publikum, interessiere ihn nicht: Dann gebe er ihn halt umsonst weg. Das ist unklug, möchte man auch Filmemacher Gerner raten: Wichtige Filme sollte jeder verstehen, denn es kommt auf jeden Zuschauer an.