
Alles könnte anders sein, aber nichts lässt sich ändern: Diese grundlegende Einsicht der System-Theorie wendet Regisseurin Claudia Lehmann auf ihr Kino-Debüt an. In ihrer Verfilmung eines Romans von Juli Zeh schickt sie den braven Familienvater Sebastian Wittich (Mark Waschke) in ein Labyrinth aus Gedankenspielen und Halluzinationen, bis er nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht.
Schilf - Alles, was denkbar ist, existiert Regie: Claudia Lehmann, Info
90 Min., Deutschland 2011;
mit: Mark Waschke, Stipe Erceg, Bernadette Heerwagen
Das klingt so kopflastig wie unverfilmbar und ist es auch. Stattdessen konstruiert die Regisseurin einen herkömmlichen Krimi-Plot, den sie mit Bizarrem anreichert. Als Sebastian seinen Sohn Nick ins Ferienlager bringen will, verschwindet dieser plötzlich. Der Vater erhält anonyme Anrufe, die ihn anweisen: «Dabbeling muss weg!»
Offizieller Film-Trailer
Freitod eines Zeitmaschinen-Mörders
Der gleichnamige Radsport-Partner von Sebastians Frau Maike (Bernadette Heerwagen) ist Chefarzt einer Klinik, in der sich Todesfälle häufen – die Opfer bekamen falsche Medikamente. An Dabbelings täglicher Trainings-Strecke lauert ihm Sebastian mit einem Drahtseil auf – und bringt ihn offenbar um die Ecke.
Wo alles möglich erscheint, birgt jede Szene neue Überraschungen: Ein geheimnisvoller Mutant namens Schilf taucht auf und behelligt Sebastian mit Detailwissen über das Attentat. Ein Mörder behauptet, einer Zeitmaschine entsprungen zu sein, und erschießt sich vor Sebastians Augen. Maike kommt aus dem Urlaub zurück und geht zur Polizei. Die ermittelt, findet nichts und erklärt Sebastian für verrückt.
Schreibtisch-Täter in Strickjacke
Schließlich lösen sich seine Hirngespinste in einem kalauernden Wortspiel auf; da ist der Zuschauer längst aus dieser verquasten Kopfgeburt ausgestiegen. Regisseurin Lehmann hat in Physik promoviert. Gleich einer übereifrigen Jung-Akademikerin im Oberseminar will sie demonstrieren, wie virtuos sie kühne Argumente und Motive handhabt. Dabei verfängt sie sich im Geflecht der in die Irre führenden Fährten, die sie auslegt.
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit. Lesen Sie hier eine Lobeshymne auf den Film "Der Albaner" von Johannes Naber mit Stipe Erceg und hier eine kultiversum-Kritik des Films "Unter Dir die Stadt" von Christoph Hochhäusler mit Mark Waschke.Hintergrund
Kopfweh nach Debatten-Marathon
Gewiss ist es äußerst schwierig, die Höhenflüge moderner Forschung in Spielfilme umzusetzen. Das gelang Darren Aronofsky 1998 in seinem Debüt «Pi»; dieser mathematische Psycho-Thriller machte ihn schlagartig bekannt. Doch US-Wissenschaftler sind darin geübt, Abstraktionen anschaulich darzustellen – im deutschen Hochschulwesen fehlt diese Tradition. So bereitet «Schilf» nur Kopfweh: Am Ende ausufernder Debatten brummt allen der Schädel.