Der ganze Libanon wird von religiösen Unruhen erschüttert. Der ganze Libanon? Nein: In einem kleinen Dorf irgendwo in den Bergen herrscht fragiler Friede zwischen Moslems und Christen, die knapp 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Wenn Männer aufbrausen und Streit anfangen, gehen ihre Frauen resolut dazwischen.
Info
Wer weiß, wohin?
Regie: Nadine Labaki, 100 min., Frankreich/ Libanon 2011;
mit: Claude Baz Moussawbaa, Layla Hakim, Yvonne Maalouf
Mutter versteckt Sohnes-Leiche
Die langbeinigen Blondinen verdrehen allen Männern den Kopf. Währenddessen stirbt einer von ihnen: Der junge Nassim gerät auf Überland-Fahrt mit dem Moped in einen Schusswechsel verfeindeter Milizen. Seine Mutter Takla (Claude Baz Moussawbaa) versteckt die Leiche, um Blutrache zu verhindern. Anschließend geben die Frauen ein ausschweifendes Bauchtanz-Fest und füttern ihre Männer mit Haschisch-Keksen.
Offizieller Film-Trailer
Pfingstwunder nach dem Haschisch-Rausch
Während die bekifften Machos mit den Ukrainerinnen flirten, machen ihre Frauen die Feuerwaffen unschädlich. Als die Düpierten aus ihrem Rausch erwachen, erleben sie ihr Pfingstwunder: Ihre Mütter, Gemahlinnen und Töchter reden in Zungen und haben ihre Herzen einem neuen Gott geweiht.
Ein blumiges orientalisches Märchen über Toleranz hat sich Nadine Labaki da ausgedacht. Die Libanesin vertritt quasi im Alleingang den Feminismus im arabischen Kino. Ihr Debütfilm «Caramel» (2007) porträtiert drei Frauen, die gegen alle Widrigkeiten in Beirut einen Schönheits-Salon betreiben: leichtfüßig, charmant und streckenweise etwas seicht.
Flicken-Teppich mit wechselnder Tonlage
Mit dem Nachfolger hat sich Labaki viel vorgenommen: Religions-Konflikte, Bürgerkriegs-Vergangenheit und Kritik am Machismo ihrer Landsleute. Das Ergebnis sieht wie ein Flickenteppich aus, der alle paar Minuten Stimmung und Tonlage wechselt: Mal Sitten-Gemälde, mal Bauern-Schwank, Musical-Melodram oder Tragikomödie.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Huhn mit Pflaumen" von Marjane Satrapi
und hier ein Interview mit Marjane Satrapi über Filmemachen als Frau im Orient
und hier einen kultiversum-Beitrag über den israelischen Film "Lebanon" von Samuel Maoz, Gewinner der Goldenen Palme in Cannes 2009.
Marien-Wunder am Flipper-Automaten
Der Film hat starke Momente: In der Eingangs-Sequenz tanzen trauernde Frauen mit physischer Präsenz, als habe Sasha Waltz ihre Bewegungen choreographiert. Und glänzt mit hübschen Einfällen: Als Christinnen von der Jungfrau Maria ein Wunder erflehen, blinkt das Pin-Up-Girl auf einem alten Flipper-Automaten – das bringt sie auf die Idee, Nachtclub-Schönheiten zu engagieren.
Ebenso ist ihm die Leidenschaft und Lust an der Improvisation anzumerken, mit denen die Regisseurin eine Schar libanesischer Laien-Darsteller dirigiert. Insgesamt macht «Wer weiß, wohin?» jedoch einen etwas unausgegorenen Eindruck – und damit seinem Titel alle Ehre.