Berlin

Baumeister der Revolution: Sowjetische Kunst und Architektur 1915 – 1935

Richard Pare: Woroschilow-Sanatorium, halbrunde Balkonterrasse, 1999; Architekt: Miron Merschanow, 1930-1934; Foto: © Richard Pare + Kicken Berlin
So schön war sozialistischer Städtebau vor Stalin: Der Martin-Gropius-Bau zeigt Meisterwerke konstruktivistischer Architektur in der Sowjetunion der 1920er Jahre. Beziehungsweise was davon übrig blieb – etliche Gebäude haben sehr gelitten.

Zuckerbäcker-Stil und Plattenbauten: Zwei Phasen prägten die Architektur im Ostblock – unter und nach Stalin. Der sowjetische Diktator verordnete seinem «Sozialismus in einem Land» einen kolossalen Neo-Klassizismus, der teils majestätisch erhaben, teils schlichtweg überladen auftrat. Nach seinem Tod 1953 wurden kaum noch Paläste mit Parkett und Stuck-Dekor für Best-Arbeiter und Bürokraten errichtet – das war zu teuer.

 

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Baumeister der Revolution: Sowjetische Kunst und Architektur 1915 – 1935

 

05.04.2012 - 09.07.2012
täglich außer dienstags im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin

 

Katalog 25 €,
im Handel 39,90 €


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Stattdessen führten die Politbüros ihre Tonnen-Ideologie auch im Städtebau ein: So viel Wohn- und Nutzraum so billig wie möglich. Das ging nur mit Beton-Fertigteilen. Überall in Osteuropa entstanden monotone Trabanten-Siedlungen aus standardisierten Wohnblocks. Nirgends kam die Tristesse des real existierenden Sozialismus besser zum Ausdruck als in diesen Arbeiter-Schließfächern – unübersehbar bis heute.

 

Meisterwerke in 1990ern abgerissen

 

Wenig bekannt ist dagegen, dass die sowjetische Architektur vor Stalin sehr experimentierfreudig war. Große Retrospektiven, die ab den 1980er Jahren die russischen Avantgarden vor und nach der Oktober-Revolution rehabilitierten, schenkten der Baukunst kaum Beachtung. Zudem wurde sie in ihrem Ursprungsland gründlich missachtet: Noch in den 1990er Jahren wurden manche Meisterwerke in Moskau und Sankt Petersburg abgerissen.


Interview mit Gropiusbau-Direktor Gereon Sievernich + Impressionen der Ausstellung


 

Historische Fotos schlecht erhalten

 

Nun widmet sich diesem fast vergessenen Kapitel der modernen Architektur-Geschichte eine große Ausstellung; sie ist nach Stationen in Barcelona, Madrid und London im Martin-Gropius-Bau zu sehen. Im Mittelpunkt stehen Bilder von Richard Pare. Seit 1993 bereist der britische Fotograf die frühere Sowjetunion; er dokumentiert wegweisende Bauten in ihrem jetzigen, oft beklagenswert vernachlässigten Zustand.

 

Das belegen historische Schwarzweiß-Aufnahmen aus dem Moskauer Schtschusew-Museum für Architektur. Oft von Unbekannten angefertigt, zeigen sie die gleichen Bauten kurz nach ihrer Fertigstellung in den 1920/30er Jahren. Die Geringschätzung, die ihnen später widerfuhr, ist schon an diesen Abzügen ersichtlich: Sie sind meist von schlechter Qualität, lieblos auf Kartei-Karten aufgeklebt und nachlässig beschriftet.

 

Kunstwerke aus der Kollektion Costakis

 

Ergänzt wird diese Foto-Schau mit Gemälden und Zeichnungen aus der Kollektion von George Costakis. Er arbeitete für die griechische Botschaft in Moskau und sammelte Werke der offiziell verfemten Avantgardisten. Bei seiner Emigration 1977 musste Costakis die Hälfte seines Besitzes dem sowjetischen Staat überlassen. Die andere Hälfte befindet sich heute in Thessaloniki: eine der größten Sammlungen von Kubofuturismus, Suprematismus und Konstruktivismus weltweit.

 

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg überboten russische Künstler einander mit kühnen Theorien und Formensprachen, um neue Lebenwelten zu schaffen. Nach der Revolution sprang während des Bürgerkriegs dieser Gestaltungs-Furor auf die Architektur über. Mit dem ersten und bekanntesten Beispiel beginnt die Ausstellung: Wladimir Tatlins «Modell für ein Denkmal der Dritten Internationale» von 1920.

 

Kommunistische Welt-Regierung soll sich drehen

 

In einer nach oben verjüngten Turm-Spirale wollte Tatlin die künftige kommunistische Welt-Regierung unterbringen: auf drei Ebenen in Räumen, die sich mit unterschiedlichem Tempo drehen sollten. Natürlich wurde dieses Monument utopischer Gigantomanie nie gebaut. Doch sein Prinzip der Stahlgitter-Konstruktion verwirklichte Wladimir Schuchow 1922 am Schabolowka-Funkturm in Moskau: Er ist bis heute in Betrieb.