Ein Eigenbrötler aus Lothringen in Rom: Claude Gellée (1600 – 1682) kam als junger Mann in den 1620er Jahren in die ewige Stadt und blieb. Nach seiner Herkunft wurde er bald Le Lorrain («der Lothringer») oder Claude Lorrain genannt.
Info
Claude Lorrain - Die verzauberte Landschaft
03.02.2012 - 06.05.2012
täglich außer montags 10 - 18 Uhr, mittwochs und donnerstags bis 21 Uhr im Städel Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt/Main
Weder Schüler noch Gehilfen
Etwa Nicolas Poussin: Der berühmteste und erfolgreichste französische Klassizist wohnte in seiner Nachbarschaft; beide waren miteinander befreundet. Ansonsten pflegte Lorrain einen für die Epoche ungewöhnlichen Individualismus: Er lebte bescheiden und arbeitete allein ohne Schüler oder Werkstatt-Gehilfen. Seine einzige bekannte Leidenschaft galt seiner Kunst.
Impressionen der Ausstellung
Morgens und abends im Feld
Natur-Studien an der frischen Luft kamen damals in Mode, doch keiner betrieb sie so intensiv wie Lorrain. Stundenlang verweilte er morgens und abends «im Felde», wie sein erster Biograf Joachim von Sandrart 1675 berichtete, und beobachtete Sonnenaufgang und –untergang. Dabei fertigte er unzählige Zeichnungen an: Rund 1200 sind erhalten.
Ihn interessierte weniger der konkrete Gegenstand als vielmehr seine Erscheinung: wie sich die Textur von Oberflächen bei verschiedenem Licht-Einfall verändert. Aus diesem reichhaltigen Anschauungs-Material komponierte Lorrain im Atelier seine Bilder. Dazu nutzte er seine Skizzen wie Versatzstücke: Dieselben Bäume, Türme oder Tempel tauchen in seinen Gemälden immer wieder in unterschiedlicher Konstellation auf.
Vier Bilder für den Papst
Dass Größenverhältnisse oder Konstruktionen manchmal nicht korrekt sind, kümmerte Lorrain wenig: Ihm ging es um einen harmonischen Gesamteindruck, den er mit subtil abgestuften Licht-Verhältnissen herzustellen wusste. Damit beeindruckte er bereits seine Zeitgenossen nachhaltig.
1637 erlebte er seinen Durchbruch: Papst Urban VII. gewährte Lorrain eine Audienz und orderte bei ihm vier Bilder. Danach arbeitete er nur noch auf Bestellung hochrangiger Auftraggeber. Was ihm erlaubte, seinen Perfektionismus auszuleben: Zuweilen arbeitete er jahrelang an einer einzigen Leinwand.
Löwenanteil in angelsächsischen Museen
Sie waren stets begehrt und wurden im 18. Jahrhundert vorwiegend von englischen Sammlern aufgekauft. Fast alle seiner 250 Gemälde gehörten zeitweise zu britischen Kollektionen. Dort und in den USA befindet sich heute der Löwenanteil seines Œuvres. In deutschen Museen ist Lorrain nur mit einzelnen Werken vertreten.
Umso verdienstvoller ist diese ihm gewidmete Ausstellung, die das Städel gemeinsam mit dem Ashmolean Museum in Oxford erarbeitet hat – die erste in Deutschland seit 1983. Sie erlaubt, seine Arbeitsweise nachzuvollziehen: 13 Gemälde werden um mehr als 100 Zeichnungen und Druckgrafiken ergänzt. Dabei führen mehrere Versionen desselben Themas seine künstlerische Entwicklung anschaulich vor.
Werk-Katalog schützt vor Fälschungen
Lorrain kopierte häufig eigene Gemälde mit der Feder auf Papier und akzentuierte dabei Details. 200 dieser Zeichnungen fasste er zu einem «Liber Veritatis» («Buch der Wahrheit») zusammen. Mit diesem Werk-Katalog wollte er sich vor Fälschungen von Nachahmern schützen – sein Beitrag zur Debatte um Urheberrecht, bevor es dieses Wort überhaupt gab.
Der Maler konzipierte viele seiner Bilder als Paare, wobei die Verweise der Pendants aufeinander recht versteckt und vielschichtig sind. Keine leicht fasslichen Analogien, sondern eher Kontraste: eine Meeres-Darstellung im Morgen- und eine Landschaft im Abendlicht.
Planvolle Arbeit, chaotische Göttinnen
Etwa beim Bildpaar «Küstenansicht» und «Urteil des Paris» von 1633: Beide Bilder sind optisch und sinnbildlich spiegelsymmetrisch aufgebaut. Während das geschäftige Treiben der Hafen-Arbeiter eine planvoll geordnete Tätigkeit darstellt, führt hingegen die Schönheits-Konkurrenz der statisch nebeneinander stehenden Göttinnen in antikes Chaos: Sie löst den Trojanischen Krieg aus.
Lorrain wurde und wird vor allem für seine idyllischen Landschaften geschätzt: Arkadische Ansichten, in denen malerisch gestaffelte Bauten und Baumgruppen den Blick auf Mittel- und Hintergrund lenken, wo die tief stehende Sonne warmes Licht ausstrahlt.
Keine Spur von Wirklichkeit
Hintergrund
Lesen Sie hier einen Beitrag über die Wiedereröffnung der Sammlung Alter Meister im Städel Museum
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Rom sehen und sterben..." über Rom-Ansichten deutscher Künstler seit 1500 in der Kunsthalle Erfurt.
Lorrains Wirkungsgeschichte ist ebenso bemerkenswert: William Turner, Ahnherr aller Impressionisten, war von ihm tief beeindruckt. Das zeigt derzeit eine weitere Ausstellung über beide Maler in der National Gallery in London: Turner ließ in seinem Werk Lorrains Dekorum weg und konzentrierte sich ganz auf die spektakuläre Lichtführung.
Gemälde in Realität überführt
Doch nicht nur auf seine Nachfolger übte Lorrain großen Einfluss aus: Zahlreiche englische Landschafts-Gärten wurden im 18. Jahrhundert nach dem Vorbild seiner Gemälde angelegt. Ein Maler, dessen Werke naturgetreu in die Realität überführt werden: Mehr kann Kunst nicht bewirken.