Köln

Vor dem Gesetz – Skulpturen der Nachkriegszeit und Räume der Gegenwartskunst

Pawel Althamer: Bródno People, 2010. Foto: Achim Kukulies, © Pawel Althamer, Courtesy Sammlung Goetz
Direktor Kaspar König verabschiedet sich vom Museum Ludwig mit einer ambitionierten Ausstellung über Menschenwürde und –rechte. Diese Last können die nur 28 Beiträge nicht schultern: Ihr Zusammenhang bleibt diffus.

Der Auftakt ist programmatisch: Der Titel ist auf Schriftbändern an Treppenstufen angebracht. Die muss man wie eine Schwelle überschreiten, um zur Ausstellung aufzusteigen – ganz oben unterm Dach, wo Licht und Erkenntnis zu Hause sind.

 

Info

 

Vor dem Gesetz – Skulpturen der Nachkriegszeit und Räume der Gegenwartskunst

 

17.12.2011 - 22.04.2012
täglich außer montags im Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, Köln

 

Katalog 24,80 €

 

Weitere Informationen

 

Dann steht man zwischen einer statisch-strengen Kardinal-Skulptur von Giacomo Manzù und der Installation «Building a Nation» von Jimmy Durham: einer Art Müllkippe der Geschichte voller Strandgut und Zitat-Fetzen zur Staatenwerdung der USA auf Kosten der Indianer. Der Gegensatz von Ordnung versus Chaos ist offensichtlich. Wohin führt das?

 

Verständnis für Menschsein heute

 

Mit der letzten Ausstellung, die Kaspar König für das Museum Ludwig kuratiert, zielt sein langjähriger Direktor auf das große Ganze: Sie soll nichts Geringeres als die «Frage nach der Würde des Menschen» und das «Verständnis für das Menschsein heute» abhandeln. Anhand von 28 Beiträgen, von denen die meisten ein ganzes Kabinett oder gar mehrere füllen.

 

Dürer-Entwurf als Bastel-Arbeit

 

Um die Suche nach der conditio humana einzugrenzen, wählt König als Ausgangspunkt die «Stunde Null» in der Kunst: Skulpturen der Nachkriegszeit, die Erlebnisse von Vernichtung und Völkermord verarbeiten. Das machen ausgewählte Bronzen von Giacometti, Henry Moore, Fritz Cremer oder Ossip Zadkine anschaulich: geschundene und versehrte Leiber, ihrer Rechte und Würde beraubt.

 

Sie sind auf der Fläche verteilt wie punktuelle Einsprengsel: Denkmäler des Bekannten, die an das Thema der Schau erinnern sollen. Den Löwenanteil füllen jedoch Installationen zeitgenössischer Künstler – und die fransen räumlich wie motivisch völlig aus. Da findet sich ein «Bauerndenkmal» von Marko Lehanka, das Albert Dürers Entwurf zum Gedenken an die Bauernkriege in eine burleske Bastelarbeit überträgt.

 

Schlanker Staat der Neoliberalen

 

Oder ein vier Meter hoher «Vater Staat» von Thomas Schütte: gefasst dreinblickend, ohne Arme, dafür mit Wespentaille. Eine Allegorie des schlanken und dadurch handlungsunfähigen Gemeinwesens neoliberaler Provenienz? Paul Chan projiziert ein Schattenspiel kopulierender Silhouetten an die Wand: animalische Gewalt-Akte als Kommentar zum Marquis de Sade. Monica Bonvicini demoliert einen begehbaren Container, den sie mit sexistischen Zitaten berühmter Architekten und Klo-Kritzeleien verunziert.

 

Irgendwie haben natürlich alle diese Werke mit dem Menschsein zu tun, denn nur Landschaften und Stillleben sehen völlig davon ab. Doch diese Zusammenstellung stiftet keinen Zusammenhang. Mangelnde Eindeutigkeit kann man hingegen Andreas Siekmann nicht vorwerfen: Seine Materialschlacht «Dante und Vergil gehen durch die Welt» ist handfeste Agitprop.

 

Inklusion + Exklusion als Gesellschafts-Modell

 

Abgemalte und verfremdete Fotos collagiert er zu einem Fries der Anklage von Asylanten-Verfolgung und Polizei-Willkür. Schon klar: Es geht um die Frontstellung von Vollbürgern, die alle Rechte genießen, gegen Migranten, denen sie verwehrt werden. Darauf verweist auch der Titel «Vor dem Gesetz». In der gleichnamigen Erzählung von Kafka wartet ein Fremder lebenslänglich und vergeblich darauf, in den Rechts-Raum eintreten zu dürfen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Werkschau "Five Themes" von William Kentridge in der Albertina, Wien

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Big Buildings - Modelle und Ansichten" mit Werken von Thomas Schütte in der Bundeskunsthalle, Bonn.

 

Die Opposition von Inklusion und Exklusion hat in den Sozialwissenschaften derzeit Konjunktur: als Basis-Modell von Gesellschaft. Diese rein formale Unterscheidung muss aber inhaltlich gefüllt werden. Damit tut sich die Ausstellung schwer: Katalog und Begleitheft betreiben arge Begriffs-Akrobatik, um die disparaten Werke auf das Thema zu beziehen.

 

28 Werke sind kein Alphabet

 

Wobei durchaus beeindruckende Arbeiten zu sehen sind. Etwa Bruce Naumans «Carousel», in dem erdrosselte Tier-Leiber kreisen: ein Mahnmal kreatürlichen Leids. Oder «Felix in Exile» von William Kentridge: Sein von Hand gezeichneter Trickfilm findet einprägsame Bilder für menschliche Grunderfahrungen. Doch solche Schlaglichter erlauben keinen Überblick. Die 26 Buchstaben des Alphabets mögen zur Beschreibung der ganzen Menschen-Welt genügen; 28 Kunstwerke gewiss nicht.