Eines der berühmtesten Marx-Zitate lautet, «dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.» Dieses Aperçu kennt der polnische Polit-Künstler Artur Żmijewski gewiss: Als Haupt-Kurator der 7. Berlin-Biennale setzt er alles daran, Marx’ Diagnose zu bewahrheiten.
Info
7. Berlin-Biennale
27.04.2012 - 01.07.2012
täglich außer montags 12 - 20 Uhr in den KunstWerken, Auguststr. 69; St. Elisabeth-Kirche, Invalidenstr. 3; Akademie der Künste, Pariser Platz 4 u.a.O., Berlin
Polizei gegen Biennale-Protest
Etwa die 34. Biennale von Venedig: Polizei-Hundertschaften traten gegen protestierende Studenten an. Um einen Abbruch wie zuvor bei den Filmfestspielen von Cannes zu verhindern – wo Regisseure gegen den Vietnam-Krieg agitierten, anstatt über Kino zu sprechen.
Impressionen der Ausstellung in der Elisabeth-Kirche und den KunstWerken
Scheitern der selbst ernannten Volkstribune
Oder die documenta 5 in Kassel 1972, zu der Joseph Beuys eine «Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung» als «soziale Plastik» beisteuerte – und einen Boxkampf austrug. Solche Versuche, Kunst ohne Abstriche in politische Praxis zu überführen, scheiterten ausnahmslos: Die Gesellschaft verzichtete dankend auf Künstler als selbst ernannte Volkstribune.
Dennoch bewirkten sie etwas mit ihrem «erweiterten Kunstbegriff»: Kreative eroberten sich neue Themen und Handlungs-Spielräume. Ohne sie wären die kulturellen Umwälzungen der Epoche nicht in dieser Form abgelaufen.
Politik ohne Opportunismus + Zynismus
Fast ein halbes Jahrhundert später wiederholen das Żmijewski und seine Kollegin Joanna Warsza als Farce. Indem sie mit ihrer Biennale das Pathos der direkten Aktion aufwärmen: «Wir stellen Kunst vor, die tatsächlich wirksam ist, Realität beeinflusst und einen Raum öffnet, in dem Politik stattfinden kann.» Wobei dieses Potential flugs zur Faktizität umgedeutet wird: «Die Biennale selbst hat sich verwandelt: in ein Verfahren zur Gestaltung von Politik.»
Den alten Traum des Künstlers, Demiurg zu sein, träumten schon die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts; sie wollten die Lebenswelt total umgestalten. Wenn nur das Publikum ergeben folgen würde, wäre alles gut: «Kunst würde die Macht der Politik erlangen, allerdings ohne deren Angst, Opportunismus und Zynismus.» Żmijewski und Warsza spinnen den Traum weiter, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Spielwiese mit Massen-Beteiligung
Dafür zimmern sie Kulissen, die denen von 1968 täuschend ähneln; mit Verachtung für Kunst-Objekte, die als Waren gehandelt werden, und Begeisterung für theoretische Pamphlete, die keiner liest. Alles wie ehedem: Die Kunst-Sphäre wird zur Spielwiese für Aktivisten umgewidmet – seien es die russischen Radikal-Provokateure von «Voina», die als «Ko-Kuratoren» fungieren, oder die «Occupy»-Bewegung, die in den KunstWerken (KW) ihr Protest-Camp aufschlägt.
Auch die Beteiligung der Massen darf nicht fehlen. In der St. Elisabeth-Kirche lädt Pawel Althamer zum «Draftmen’s Congress»: Alle Ausdruckswütigen dürfen auf Stell-Wänden irgendwie mitzeichnen. Vermeintlich Benachteiligte werden gehört: Jonas Staal lädt zum «New World Summit», auf dem als terroristisch eingestufte Organisationen ihre Weltsicht hinausposaunen. Verstörende Daten werden gesammelt: Teresa Margolles pflastert eine Wand mit Boulevard-Zeitungen aus Mexiko, die täglich mit Mord-Opfern von Drogen-Banden aufmachen.
Kunst der Schwangerschaft
Schockierende Bilder werden verbreitet: «Breaking the News» zeigt wacklige Doku-Filme über die Welt in Aufruhr – Krawalle in Athen, Straßen-Schlachten in Kairo, Repression in Palästina. Die politische Marschrichtung geben allerdings einzelne Vordenker an: Marina Naprushkina bemalt das KW-Treppenhaus mit ausgefeilten Regierungs-Plänen für Weißrussland samt Aufbau von Genossenschaften – und dem Appell, die 2014 dort stattfindende Eishockey-WM zu boykottieren.
Wo kein Kampf gegen eine Diktatur zur Konzentration der Kräfte zwingt, ufern sie völlig aus: Joanna Rajkowska hat ihre Tochter in Berlin zur Welt gebracht und erklärt das zur Kunst. Doch Fotos ihrer Schwangerschaft stören niemanden. Um wohlfeile Skandale zu inszenieren, bedarf es populärer Aufreger.