Eine nachholende Kultur-Revolution von Polen für Polen: Biennale-Kurator Żmijewski will mit Kunst handfeste Politik machen. Seine Wiederaufführung der 68er-Revolte im Kunst-Betrieb wird zur Groteske voller Déjà-Vus.
Eines der berühmtesten Marx-Zitate lautet, «dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.» Dieses Aperçu kennt der polnische Polit-Künstler Artur Żmijewski gewiss: Als Haupt-Kurator der 7. Berlin-Biennale setzt er alles daran, Marx’ Diagnose zu bewahrheiten.
7. Berlin-Biennale
27.04.2012 – 01.07.2012
täglich außer montags 12 – 20 Uhr in den KunstWerken, Auguststr. 69; St. Elisabeth-Kirche, Invalidenstr. 3; Akademie der Künste, Pariser Platz 4 u.a.O., Berlin
Etwa die 34. Biennale von Venedig: Polizei-Hundertschaften traten gegen protestierende Studenten an. Um einen Abbruch wie zuvor bei den Filmfestspielen von Cannes zu verhindern – wo Regisseure gegen den Vietnam-Krieg agitierten, anstatt über Kino zu sprechen.
Oder die documenta 5 in Kassel 1972, zu der Joseph Beuys eine «Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung» als «soziale Plastik» beisteuerte – und einen Boxkampf austrug. Solche Versuche, Kunst ohne Abstriche in politische Praxis zu überführen, scheiterten ausnahmslos: Die Gesellschaft verzichtete dankend auf Künstler als selbst ernannte Volkstribune.
Dennoch bewirkten sie etwas mit ihrem «erweiterten Kunstbegriff»: Kreative eroberten sich neue Themen und Handlungs-Spielräume. Ohne sie wären die kulturellen Umwälzungen der Epoche nicht in dieser Form abgelaufen.
Fast ein halbes Jahrhundert später wiederholen das Żmijewski und seine Kollegin Joanna Warsza als Farce. Indem sie mit ihrer Biennale das Pathos der direkten Aktion aufwärmen: «Wir stellen Kunst vor, die tatsächlich wirksam ist, Realität beeinflusst und einen Raum öffnet, in dem Politik stattfinden kann.» Wobei dieses Potential flugs zur Faktizität umgedeutet wird: «Die Biennale selbst hat sich verwandelt: in ein Verfahren zur Gestaltung von Politik.»
Den alten Traum des Künstlers, Demiurg zu sein, träumten schon die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts; sie wollten die Lebenswelt total umgestalten. Wenn nur das Publikum ergeben folgen würde, wäre alles gut: «Kunst würde die Macht der Politik erlangen, allerdings ohne deren Angst, Opportunismus und Zynismus.» Żmijewski und Warsza spinnen den Traum weiter, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Dafür zimmern sie Kulissen, die denen von 1968 täuschend ähneln; mit Verachtung für Kunst-Objekte, die als Waren gehandelt werden, und Begeisterung für theoretische Pamphlete, die keiner liest. Alles wie ehedem: Die Kunst-Sphäre wird zur Spielwiese für Aktivisten umgewidmet – seien es die russischen Radikal-Provokateure von «Voina», die als «Ko-Kuratoren» fungieren, oder die «Occupy»-Bewegung, die in den KunstWerken (KW) ihr Protest-Camp aufschlägt.
Auch die Beteiligung der Massen darf nicht fehlen. In der St. Elisabeth-Kirche lädt Pawel Althamer zum «Draftmen’s Congress»: Alle Ausdruckswütigen dürfen auf Stell-Wänden irgendwie mitzeichnen. Vermeintlich Benachteiligte werden gehört: Jonas Staal lädt zum «New World Summit», auf dem als terroristisch eingestufte Organisationen ihre Weltsicht hinausposaunen. Verstörende Daten werden gesammelt: Teresa Margolles pflastert eine Wand mit Boulevard-Zeitungen aus Mexiko, die täglich mit Mord-Opfern von Drogen-Banden aufmachen.
Schockierende Bilder werden verbreitet: «Breaking the News» zeigt wacklige Doku-Filme über die Welt in Aufruhr – Krawalle in Athen, Straßen-Schlachten in Kairo, Repression in Palästina. Die politische Marschrichtung geben allerdings einzelne Vordenker an: Marina Naprushkina bemalt das KW-Treppenhaus mit ausgefeilten Regierungs-Plänen für Weißrussland samt Aufbau von Genossenschaften – und dem Appell, die 2014 dort stattfindende Eishockey-WM zu boykottieren.
Wo kein Kampf gegen eine Diktatur zur Konzentration der Kräfte zwingt, ufern sie völlig aus: Joanna Rajkowska hat ihre Tochter in Berlin zur Welt gebracht und erklärt das zur Kunst. Doch Fotos ihrer Schwangerschaft stören niemanden. Um wohlfeile Skandale zu inszenieren, bedarf es populärer Aufreger.
Martin Zet sammelt Exemplare von Thilo Sarrazins Buch «Deutschland schafft sich ab», um sie zu einer Installation zu verbacken. Lautes Rauschen im Blätterwald, aber wenig Resonanz: Nur eine Handvoll Leser hat ihm einen Band überlassen.
Wenn Kunst-Aktionen schief gehen, müssen Schuldige her: Feuilleton-Kritik an Zet lenkt laut Żmijewski nur vom «rassistischen Vokabular Sarrazins» ab, und ignorante Berliner Ärzte übersahen bei Rajkowskas Baby eine Erb-Krankheit. Ohne paranoide Verschwörungs-Theorie keine Revolte.
Ein mustergültiges Déjà-Vu: Der Haupt-Kurator fährt das komplette 70er-Jahre-Arsenal an Spektakeln und Sprechblasen auf. Allerdings ist er Zeitgenosse genug, um seine Umsturz-Versuche demokratie-kompatibel auch für ideologische Gegner von einst und jetzt zu öffnen.
Im Rahmen der Biennale spielen polnische Geschichts-Fans die «Schlacht um Berlin 1945» nach. Die deutsche «Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung» (SFVV) zeigt Erinnerungs-Stücke von Vertriebenen, und Mirosław Patecki eine kleine Kopie der 36 Meter hohen Christus-Statue, die seit 2010 in Świebodzin steht.
Polnische Künstler und Themen sind derart präsent, als sei diese Biennale für ihre heimische Öffentlichkeit bestimmt. Was die Lust der Kuratoren auf ein 68er-Revival erklären könnte: Ihr Agitprop-Kauderwelsch mag im hiesigen Kunstbetrieb hoffnungslos gestrig wirken – im dortigen klingt es unverbrauchter, weil derlei im früheren Ostblock zensiert wurde.
Wobei diese nachholende Kultur-Revolution das gleiche Dilemma wie ihre historischen Vorbilder ereilt: Wer Politik treiben will, muss Position beziehen, sich festlegen und dafür Mehrheiten finden. Wer Informationen verbreitet, soziale Bewegungen organisiert oder Genossenschaften gründet, schafft durchaus Ehrenwertes – bloß keine Kunst.
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung „Tür an Tür“ über 1000 Jahre deutsch-polnische Kunst und Geschichte mit Werken von Artur Żmijewski im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier eine Kritik der Senats-Ausstellung „Based in Berlin“ in den KunstWerken und anderen Orten
und hier eine Besprechung der Ausstellung „Freibeuter der Utopie“ über die „Kunst der Weltverbesserung“ in der Weserburg, Bremen
und hier einen kultiversum-Beitrag über die Ausstellung „Frontera“ von Teresa Margolles in der Kunsthalle Fridericianum, Kassel.
Solche Arbeiten finden sich ebenso. Das «Jewish Renaissance Movement in Poland» (JMRIP) von Yael Bartana, die Pseudo-Image-Kampagne «Re-Branding European Muslims» oder Pass-Stempel eines nicht existenten Palästinenser-Staats von Khaled Jaffar verschieben mit intelligenten Gedanken-Spielen die Grenzen des Vorstellbaren.
Zu wenig für den Veränderungs-Furor von Żmijewski/Warsza. Was wird von ihrer Biennale bleiben? Vermutlich nur die Internet-Datenbank «Artwiki.org», in der sich jeder Künstler eintragen kann; 5000 sind dem Aufruf gefolgt.
Noch ein Megabyte-Friedhof, aber mit Klassen-Bewusstsein: Jeder Teilnehmer soll seine politische Orientierung angeben. Die meisten verorten sich irgendwo links: Darauf konnten sich schon 1968 alle einigen. Was diese Farce heute bedeuten soll, wüsste wohl auch Marx kaum zu sagen.
Von Oliver Heilwagen, veröffentlicht am 06.05.2012
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