
Munch (1863 – 1944) muss sein: Mit mehr als 200.000 Besuchern in 14 Wochen ist diese Ausstellung die erfolgreichste, die je in der Schirn Kunsthalle zu sehen war. «Kunst+Film» begrüßt von Herzen, dass traditionelle Ölbilder so viele Zuschauer wie sonst nur Blockbuster-Kino ansprechen. Doch was lässt die Massen in diese Werkschau eines norwegischen Malers strömen?
Info
Edvard Munch:
Der moderne Blick
09.02.2012 – 28.05.2012
täglich außer montags 10 bis 19 Uhr, mittwochs und donnerstags bis 22 Uhr in der Schirn Kunsthalle, Römerberg, Frankfurt/ Main
Katalog 34,80 €,
im Handel 39,80 €
Markenzeichen Munch
Wie bei vielen seiner Kompositionen: Die rund 80 Gemälde und Grafiken in der Schirn zeigen, dass der Norweger sich häufig selbst zitierte. Meist führte er spätere Versionen nachlässiger aus; ihre Wiederholungen wirken eher beliebig. Offenbar wollte er einfach lukrative Sammler-Wünsche bedienen. Oder es genügte ihm, sich selbst zu kopieren: Munch als Markenzeichen.
Impressionen der Ausstellung
Doppelt gemalt hält besser
Was ihm Zuspruch sicherte, denn doppelt gemalt hält besser. Wie Elfriede Jelinek bemerkt hat, beschränkt sich der Kunstgenuss von rund 90 Prozent des Publikums darauf, geläufige Motive wieder zu sehen. Diese Sichtweise ist vermutlich tief in der Stammesgeschichte der Menschheit verankert: Der Steinzeit-Mensch musste früher betrachtete Landschaften wieder erkennen, um zurück zum Lager-Platz seiner Sippe zu finden – aus welchen Elementen sie bestanden, konnte ihm weitgehend egal sein.
Auf dem Wiedererkennungs-Effekt beruht die Popularität vieler zeitgenössischer Selbst-Plagiatoren: von Andy Warhols bonbonbunten Pop-Art-Porträts bis zu Keith Harings tanzenden Strich-Männchen. Damit allein lässt sich der enorme Zulauf zur Munch-Ausstellung nicht erklären.
Vermeintliche Modernität überzeugt nicht
Deren Konzept besteht in der Betonung seiner vermeintlichen Modernität. Munch wird stilistisch meist als Symbolist oder Prä-Expressionist wie Van Gogh klassifiziert. Doch sein Spätwerk ab 1900 sei geprägt von neuen Seh-Erfahrungen des technischen Zeitalters, versichert die Schirn. Dazu führt sie 50 Fotografien und vier Filme vor, die er selbst angefertigt hat.
Diese Belege können kaum überzeugen. Fotografien waren seit Mitte des 19. Jahrhunderts Massenware und beeinflussten schon die Impressionisten. Sie stellten bereits Pferde oder Menschen oft in Frontalansicht dar, die dynamisch auf den Betrachter zulaufen. Die kurzen Amateur-Filmchen von Munch sind völlig konventionell – ohne eine Spur jenes «Neuen Sehens», das seinerzeit die Konstruktivisten erkundeten.
Depressive Welt-Sicht für Burn-out-Gegenwart
Stattdessen tritt in dieser Zusammenstellung ein anderer Aspekt drastisch zutage: Munch, der manisch-depressiv und mehrfach in der Psychiatrie war, verschafft der depressiven Welt-Sicht mit seinen Bildern kongenial Ausdruck. Damit trifft er offenkundig einen zeitgenössischen Nerv: Burn-out, Angst-Störungen und dergleichen werden gegenwärtig zu Volks-Krankheiten.