Léa Seydoux

Leb wohl, meine Königin!

Mehr Tuchfühlung verbietet die Etikette: Königin Marie Antoinette (Diane Kruger, re.) und ihre Favoritin Gabrielle de Polignac (Virginie Ledoyen). Foto: Capelight
(Kinostart: 31.5.) Wiedersehen mit Marie Antoinette: Regisseur Benoît Jacquot verfilmt einen Roman über ihre letzten Tage in Versailles. Ein detailverliebt inszenierter Kostüm-Film, der an «Der Untergang» über Hitlers Ende erinnert.

Sechs Wochen nach «Die Königin und ihr Leibarzt» kommt der nächste Kostüm-Film mit Rokoko-Königin ins Kino, und sieben Jahre nach «Marie Antoinette» von Sofia Coppola ein weiterer Film über die letzte Monarchin in Frankreichs ancien régime.

 

Info

Leb wohl, meine Königin!

 

Regie: Benoît Jacquot, 100 min., Frankreich 2011;
mit: Léa Seydoux, Diane Kruger, Xavier Beauvois

 

Website zum Film

Sie hat mit ihrer royalen Ahnungs- und Nutzlosigkeit schon immer eine besondere Faszination auf die Fantasie der Menschen ausgeübt. Daran schließt nun Regisseur Benoît Jacquot an, der bevorzugt Frauen-Schicksale verfilmt, mit seiner Adaption eines Romans von Chantal Thomas. Warum eigentlich?

 

Sehen, wie die Königin betrachtet wird

 

Zunächst vielleicht, weil der Blickwinkel interessant erscheint: Wir betrachten die Habsburgerin (Diane Kruger) durch die Augen ihrer Vorleserin Sidonie (Léa Seydoux). Oder besser: Wir sehen diese, wie sie die Königin betrachtet.


Offizieller Film-Trailer


 

Eingefrorenes Leben in Versailles

 

Verlangen, Verklärung und Untertänigkeit spiegeln sich in Sidonies Blick, sowie Neid und Eifersucht auf Gabrielle de Polignac (Virginie Ledoyen), die Favoritin der Monarchin – aber auch Eifersucht auf jeden, der ihre privilegierte Stellung in der Nähe ihres Idols gefährden könnte.

 

Léa Seydoux spielt all dies mit bewundernswerten Nuancen, die allerdings irgendwann in Eintönigkeit umschlagen. So wie das Leben in Versailles, dessen Schloss-Mauern der Film trotz aller Aufregung kaum verlässt, wie eingefroren wirkt. Denn am 14. Juli 1789 erreicht den Hof die Meldung, dass das Pariser Volk die Bastille gestürmt hat.

 

Bis in Tapeten-Muster durchrecherchiert

 

Die Gesellschaft bei Hofe ist wie gelähmt; es wird eingepackt und wieder ausgepackt. Alle warten, dass etwas passiert – und wenn es passiert, sind alle damit beschäftigt, herauszufinden, was es eigentlich ist. Das für sie Unvorstellbare bleibt ausgesperrt bis zum Schluss.

 

All das wird penibel und mit einer bis in die Tapetenmuster durchrecherchierten Detailversessenheit eingefangen: das höfische Protokoll, die Rollen von Mode und Handarbeit, die Blickwechsel zwischen den Stufen einer Hierarchie, die alles zusammenhielt und nun rapide bröckelt.

 

Weder Spannung noch politische Haltung

 

Das kann wohl nur genießen, wer sich «Die höfische Gesellschaft» – Norbert Elias’ wegweisende Studie über die Soziologie des Königtums – immer wieder als re-enactment zu Gemüte führen kann, ohne sich zu langweilen. Denn an Motivation und Haltung der Protagonisten ändert sich rein gar nichts; das historische Ende der Geschichte ist bekannt, und die menage à trois endet antiklimaktisch.

 

So fehlt dem Film nicht nur die Spannung, sondern auch eine politische Haltung. Dem Regisseur Sympathien mit einem Volk zu unterstellen, das aussieht wie Orang-Utans mit Hüten, fällt schwer. Auch wäre es böswillig, ihn einen Royalisten zu schimpfen, weil er die Welt durch die Augen einer jungen Frau sieht, die unbedingt zu einem System gehören möchte, das gerade gewaltsam abgeschafft wird.

 

1789 als Vulkan-Ausbruch

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Die Königin und der Leibarzt" mit Mads Mikkelsen als Radikal-Reformer am dänischen Königshof

 

und hier eine Kritik der türkischen Groß-Produktion "Fetih 1453 – Die Eroberung von Konstantinopel" von Faruk Aksoy

Doch in einer Zeit, in der Revolutionen wieder stattfinden – oder niedergeschlagen werden oder sich als Putsch entpuppen – behandelt der Film die französische Revolution von 1789, immerhin Hebamme der europäischen Moderne, wie einen Vulkan-Ausbruch.

 

Bleibt also die Frage: Wozu dieser Film? Warum eine Liebesgeschichte voller flacher Charaktere und voyeuristischer Blicke sowie einem unsichtbaren, aber zweifellos erbarmungslosen Gegner vor den Schloss-Toren?

 

Besser zwischen Buchdeckeln

 

Wahrscheinlich fand Jacquot bei der Lektüre der Roman-Vorlage irgendetwas, das sich zwar durchaus verfilmen lässt, aber wohl besser zwischen zwei Buchdeckeln geblieben wäre. Immerhin: Frankreich hat jetzt seinen eigenen «Untergang». Denn mit Oliver Hirschbiegels Drama über Hitlers Ende hat «Leb wohl, meine Königin!» mehr gemeinsam als mit jedem anderen Historien-Film.