dOCUMENTA (13)

Künstler-Kongresse: Ekaterina Degot

Ekaterina Degot spricht am 11.06.2012 auf dem Künstler-Kongress der documenta 13. Foto: ohe
Rückblick auf einen völlig entgrenzten Kunst-Begriff: Revolutionäre Künstler in der Sowjet-Union wollten den neuen Menschen formen – mit kollektiv produzierten und konsumierten Werken. Kuratorin Degot sieht Parallelen zur Gegenwart.

Von der Sowjetunion lernen, heißt diskutieren lernen: In keiner anderen Kultur der 1910/20er Jahre verliefen die Debatten unter Künstlern so heftig wie im revolutionären Russland. Die Auseinandersetzungen wurden vehement, ja erbittert geführt. Wer unterlag, dem drohte Ausstellungs- und Berufsverbot – unter Stalin auch Haft und Tod im Lager.

 

Info

dOCUMENTA (13)

 

09.06.2012 – 16.09.2012
täglich 10 bis 20 Uhr an 26 Standorten in Kassel

 

Katalog 24 €,
Begleitband 68 €

 

Weitere Informationen
zum Künstler-Kongress

Es ging um eine «Kunst im Werden», wie Ekaterina Degot ihren Vortrag auf dem documenta-Kongress über Künstler-Kongresse betitelte: Welche Kunst war am besten geeignet, den Sozialismus mit aufzubauen? Den Streit rivalisierender Strömungen zeichnete Degot detailliert nach: Die russische Kuratorin und Kunst-Kritikerin ist einer der besten Kenner dieser komplizierten Materie.

 

Kunst im Dienst der KP

 

Seit der Oktoberrevolution gaben Avantgarden wie Kubofuturisten, Suprematisten und Konstruktivisten den Ton an. Ab Mitte der 1920er Jahre verloren sie an Boden. Halb überzeugt und halb genötigt, stellten sich viele Künstler ganz in den Dienst der Kommunistischen Partei. Sie arbeiteten für Massenmedien wie Illustrierte, Filme oder Theater-Inszenierungen.


Auszüge des Vortrags (auf Englisch) von Ekaterina Degot


 

Kunst- nach dem Vorbild von Industrie-Produktion

 

So entstanden viele Dekorationen für Propaganda-Spektakel, von denen nur wenige erhalten geblieben sind. Etliche dieser Kostüme, Bühnenbilder und Wandgemälde fertigten Kollektive an – sie sollten ihren Mitgliedern bürgerlichen Individualismus austreiben. Damit wurde nicht nur der kapitalistische Kunst-Markt, sondern auch die herkömmliche Rolle des Künstlers abgeschafft.

 

Das Werk sollte aus einem intensiven Austausch aller Mitwirkenden hervorgehen – und damit verhindern, dass es sich eine Einzelperson aneignen könnte. Seine Herstellung wurde arbeitsteilig wie in einer Fabrik organisiert: Kunst- nach dem Vorbild von Industrie-Produktion.

 

Realismus der künftigen Utopie

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung “Baumeister der Revolution” über Sowjetische Kunst und Architektur 1915 – 1935 im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung “Stiller Widerstand” über Fotografien des Russischen Piktorialismus 1900 – 1930 im Martin-Gropius-Bau, Berlin.

Dabei spielten private Vorlieben keine Rolle: Derartige Werke wurden massenhaft kopiert, verbreitet und konsumiert. Entscheidend war nicht Originalität, sondern ihre Gesinnung: Diese Kunst bildete eine Utopie ab. Der «Sozialistische Realismus» stellte nicht die gegenwärtige Wirklichkeit dar, sondern die künftige – wenn alles Alte abgestorben und die kommunistische Gesellschaft voll entwickelt sein würde.

 

Indem solche radikalen Kollektive die persönliche Autorschaft und Handschrift verabschiedeten, nahmen sie einen Grundgedanken der Gegenwarts-Kunst vorweg, so Degot. Wichtig als das Werk wurde die soziale Beziehung zwischen Künstlern und Publikum: revolutionäre Botschaft gut, alles gut.

 

Revoluzzer-Honorare aus Steuergeldern

 

Die Moskauer Publizistin sieht noch eine weitere Parallele zur zeitgenössischen Kunst-Szene: ihre Staats-Nähe. Die Sowjet-Künstler beanspruchten, am und für das Gemeinwohl zu arbeiten – und deshalb von der öffentlichen Hand beauftragt zu werden. Ein Privileg, dass Kunst-Revoluzzer seither stets verteidigen: Die Honorare für Werke, mit denen sie die Welt verändern wollen, sollen aus Steuergeldern bezahlt werden.