
Die Welt des Edward Burtynsky ist wunderschön. Es ist eine menschenleere Welt der Ölförder-Anlagen, Bohrtürme, Pipelines, Raffinerien, Autobahnkreuze, Parkplätze, Schrotthalden, Abwrack-Werften für Supertanker und Ölteppiche im Ozean. Diese Knotenpunkte der petrochemischen Zivilisation fotografiert der Kanadier als betörend reizvolle Landschaften.
Info
Edward Burtynsky - Oil
27.07.2012 - 09.09.2012
täglich 11 bis 20 Uhr in der Galerie C/O Berlin, Oranienburger Str 35/36, Berlin
Bildband 98 €
Bevölkerung wächst mit Öl-Verbrauch
Im gleichnamigen Bildband heißt es, dass die Welt-Bevölkerung zu dem Zeitpunkt exponentiell zu wachsen beginnt, ab dem Erdöl als fossiler Brennstoff genutzt wird. Das bedeutet, auch wenn noch andere Faktoren hineinspielen: Alle Lebenden sind Kinder des Öls. Unter den weltweit 20 größten Unternehmen sind mehr als die Hälfte Öl- und Automobil-Konzerne. Alle wissen das, aber niemand sieht es. Burtynsky zeigt, wie die Petro-Ökonomie der Erde ihren Stempel aufdrückt.
Impressionen der Ausstellung zum 4. Fotofestival im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen mit Werken von Burtynsky ab 02:37
Von Aserbaidschan zur «motor culture»
Windschiefe Fördertürme bei Baku in Aserbaidschan, auf den ältesten Ölfeldern der Welt. Altmodische Schwengelpumpen in Kalifornien und Abraumhalden in Kanada, wo Ölschiefer im Tagebau weggebaggert wird. Chromblitzende Pipelines, die Schneisen durch endlose Wälder schlagen. Rauchende Raffinerien: ein einziges Röhren-Gewirr.
Als Ziel aller Bemühungen die von Burtynsky so genannte «motor culture»: Parkplätze mit Neuwagen bis zum Horizont. Vielspurige «highway intersections», die das Land wie Riesenspinnen zu würgen scheinen. Der dazu passende Städtebau: Suburbia-Siedlungen, die Krebsgeschwüren gleich in die Gegend wuchern. Jedem Bürger sein Eigenheim – so uniform wie eine Bienenwabe.
Demiurgische Perspektive im Helikopter
Schließlich das lakonisch betitelte «The end of oil»: Stahlschrott, so weit das Auge reicht. Berge von gepressten Karosserien, Ölfässern und –filtern. Halden von Altreifen, die in der Nahsicht wie Fisch-Schwärme wirken: Alle glänzen, jeder ist auf seine Weise kaputt. Am eindrucksvollsten sind die Schiffs-Friedhöfe in Bangladesh, auf denen ganze Supertanker von barfuss laufenden Arbeitern mit Schweißgeräten zerlegt werden: Ameisen beim Abwracken.
Burtynsky fotografiert solche Szenen meist aus dem Hubschrauber, seinem «verlängerten Stativ». Seine Perspektive ist gleichsam demiurgisch: höher als die jeder Menschenseele, aber niedriger als die eines Piloten oder Satelliten. Er erfasst alles mit einem Blick, wobei jede Einzelheit erkennbar bleibt.
Verführerisch glänzende Mond-Landschaften
Und er wählt Momente, in denen die Morgen- oder Abendsonne Sanddünen, rostige Stahlträger und Autowracks mit goldenem Schimmer überzieht. So schafft er Mond-Landschaften von verführerischem Glanz. Wie jedes erhabene Panorama lösen sie Schrecken und Faszination aus: Sie sind völlig unwirtlich, aber von makelloser Ästhetik.
Hintergrund
Lesen Sie hier einen Beitrag über das 4. Fotofestival "The eye is a lonely hunter: Images of humankind" in Mannheim, Ludwigshafen + Heidelberg mit Werken von Edward Burtynsky
und hier eine Rezension der Foto-Ausstellung "The Ruins of Detroit" von Yves Marchand + Romain Meffre im Kühlhaus Berlin
und hier eine Besprechung der Foto-Ausstellung "Nadav Kander: Yangtze – The Long River & Robert Polidori: Pripyat and Chernobyl" mit Bildern von Umwelt-Katastrophen in China + der Ukraine in der Galerie Camerawork, Berlin
Freigelegter Urgrund unserer Lebensform
Der Bildband, der sämtliche Fotografien zum Thema enthält, führt alle Aspekte des Zyklus anschaulich vor Augen. Doch erst als Großformate in der Galerie entfalten die Bilder ihre überwältigende Wirkung. Unfassbar, wie eine einzige Luftaufnahme von Los Angeles oder Las Vegas das ganze Korsett von Schnellstraßen darstellen kann, die diese Großstädte strangulieren. Oder wie der Ölschiefer-Tagebau in Kanada ganze Landstriche ruiniert.
Obwohl Burtynsky einen deutschen Verlag hat, ist diese Schau nach der Premiere in der «Altana Kulturstiftung» in Bad Homburg v.d.H. erst seine zweite Einzelausstellung hier zu Lande. Das erstaunt umso mehr, da Landsleute wie Andreas Gursky oder Thomas Struth mit Mammut-Panoramen der Gegenwarts-Gesellschaft Triumphe feiern. Doch sie beschränken sich kühl-distanziert auf den glitzernden Schein der Oberflächen. Ihr kanadischer Kollege gräbt tiefer: Er legt den dunklen Urgrund unserer Lebensform erbarmungslos frei.