dOCUMENTA (13)

Rundgang durch das Fridericianum

Frontal-Ansicht des Fridericianums. Foto: ohe
Das zentrale Ausstellungs-Gebäude der documenta steht ganz im Zeichen von Krieg und Gewalt. Leiterin Christov-Bakargiev versammelt Artefakte, die von Zerstörungs-Wut künden – aus sechs Jahrtausenden.

Keine documenta ohne Fridericianum: Der nach dem Schloss in Dessau-Wörlitz zweite rein klassizistische Bau in Deutschland ist die Zentrale der Kasseler Groß-Ausstellung. Aus Tradition: Nach seiner Fertigstellung 1779 beherbergte er die fürstliche Kunst-Sammlung – als eines der ersten öffentlichen Museen auf dem europäischen Kontinent.

 

Info

dOCUMENTA (13)

 

09.06.2012 – 16.09.2012
täglich 10 bis 20 Uhr an 26 Standorten in Kassel

 

Katalog 24 €,
Begleitband 68 €

 

Website zur Ausstellung

Daran knüpfte documenta-Gründer Arnold Bode 1955 an: Er ließ das im Zweiten Weltkrieg stark zerstörte Gebäude provisorisch instand setzen, um in seinen Räumen Kunstwerke auszustellen. Sie wurden bei der Premiere nicht an die Wand gehängt, sondern frei im Raum aufgestellt – auch die Gemälde, die man zwischen Eisen-Stangen anbrachte.

 

Krieg im Allgemeinen + Einzel-Fall

 

Auf die wechselhafte Geschichte des Hauses reagieren traditionell viele documenta-Teilnehmer. Leiterin Carolyne Christov-Bakargiev (CCB) macht da keine Ausnahme: Sie hat in ihre Ausstellung etliche Arbeiten aufgenommen, die auf Krieg und Zerstörung im Allgemeinen wie auf den Einzel-Fall des Fridericianums Bezug nehmen.


Impressionen der Ausstellung im Fridericianum


 

Leeres Erdgeschoss mit leichtem Luftzug

 

Das fällt bei dieser documenta besonders auf, weil CCB den Auftakt zum Rundgang mit einem gewagten Anti-Klimax markiert: Das Erdgeschoss des weitläufigen Dreiflügel-Baus bleibt nahezu ungenutzt. Im linken Flügel stellt Ryan Gander nur einen «leichten Luftzug» aus, den Ceal Floyer mit dem Refrain eines Soul-Songs beschallen lässt. Ansonsten herrscht gähnende Leere.

 

Gegenüber im rechten Flügel werden drei kleine, abstrakte Skulpturen des Spaniers Julio González aus den 1930er Jahren – eine Reminiszenz an die erste documenta, auf der sie gezeigt wurden – im weitläufigen Saal leicht übersehen. Im anschließenden Kabinett läuft ein Video von Khaled Hourani über die erste Ausstellung eines Picasso-Gemäldes in Palästina; ebenfalls eine Anspielung auf die Anfänge der Mammut-Schau.

 

The Brain zeigt CCBs Hirnwindungen

 

Im Gegensatz zum verschwenderischen Umgang mit Freiflächen in den beiden Flügeln herrscht in der Mitte drangvolle Enge: Die Rotunde hat CCB mit zahllosen Arbeiten voll gestopft. Sie nennt den halbkreisförmigen Raum «The Brain»; er erlaubt quasi einen Einblick in ihre Hirnwindungen.

 

Wie zu erwarten, geht es hier recht unübersichtlich zu: Raumteiler und Vitrinen erschweren die Orientierung. Ebenso das Sammelsurium von präsentierten Werken, das keinem thematischen Zusammenhang zu folgen scheint – allenfalls werden ein paar Leitmotive erkennbar.

 

Lee Miller badete in Hitlers Wanne

 

Die prominentesten sind zweifellos Krieg und Gewalt: Sie prägen etwa die Hälfte der versammelten Arbeiten. Eine Seite des zentralen Raumteilers pflastern Fotografien, die Lee Miller 1945 in Hitlers Münchener Privat-Wohnung aufnahm. Die entbehren nicht der Pikanterie: Miller nahm an Hitlers Schreibtisch Platz und badete in seiner Wanne. Zudem entwendete sie kleinere Gegenstände, darunter eine Puder-Dose, die Eva Braun gehört haben soll – auch die ist hier zu sehen.

 

Am deutlichsten sind Spuren von Gewalt-Einwirkung an einigen Objekten aus dem libanesischen National-Museum in Beirut erkennbar: Sie wurden während des Bürgerkriegs durch Beschuss beschädigt oder zerschmolzen zu undefinierbaren Gebilden.

 

Schutz vor Taliban durch Übermalung

 

Ähnliche Spuren zeigt eine Fotografie des Kambodschaners Vandy Rattana: Ein Bomben-Krater aus der Zeit des Vietnam-Kriegs hat sich mit Regenwasser gefüllt. Daneben hängt eine historische Tusche-Zeichnung, die eine Vietcong-Kämpferin darstellt.

 

Konflikte aus jüngster Zeit sind ebenfalls präsent: Ein unscheinbares Landschafts-Bild des Afghanen Mohammad Yusuf Asefi hat eine dramatische Entstehungs-Geschichte. Mit solchen unverfänglichen Szenen übermalte der Künstler figurative Gemälde aus der Nationalgalerie in Kabul, um sie vor der Zerstörung durch Taliban zu schützen.