Dresden

Die Sixtinische Madonna – Raffaels Kultbild wird 500

Raffael: Donna Velata (Detail), 1512/13, Öl auf Leinwand, 82 x 60.5 cm, Florenz. Foto: © Galleria Palatina, Istituti museali della Soprintendenza Speciale per il Polo Museale Fiorentino
Ob sie die «schönste Frau der Welt» ist, wie die Werbung behauptet, mag man bezweifeln – gewiss ist sie eine der berühmtesten. Die Gemäldegalerie widmet ihr zum 500. Geburtstag eine prächtig inszenierte Sonder-Ausstellung.

«Platz für den großen Raffael!» 

 

Zwei Jahre dauerten die Verkaufs-Verhandlungen – 1754 konnte August das Schmuckstück in Empfang nehmen. «Platz für den großen Raffael!», soll er ausgerufen und seinen Thron-Sessel eigenhändig beiseite geschoben haben, als das Gemälde in seinem Schloss eintraf: Diese Szene hat Adolph von Menzel auf einem Pastell festgehalten, das in der Schau zu sehen ist. Die Mönche von San Sisto hängten stattdessen eine Kopie des Bildes in ihre Klosterkirche.

 

Zuvor war die «Heilige Nacht» von Correggio das Prunkstück der fürstlichen Sammlung gewesen – im ersten monumentalen Nachtstück der italienischen Malerei geht vom neugeborenen Jesus-Kind ein überirdisches Licht aus. Nun wurde es von der Strahlkraft der Madonna verdrängt: Um 1800 wurde das Bild in ganz Europa berühmt.

 

Standard-Dekoration, Karikatur- + Kitsch-Motiv

 

Ab 1855 hing sie allein in einem eigens für sie reservierten Saal – inszeniert als Spitzenwerk, das die gesamte übrige Kunstgeschichte überflügelt. Zahllose Kopien entstanden; preiswerte Reproduktionen machten die «Sixtinische Madonna» für jedermann erschwinglich. Etliche Gemälde und Grafiken zweitrangiger Genre-Maler belegen, wie sie zum unentbehrlichen Dekor jeder gutbürgerlichen Stube wurde – etwa im Arbeitszimmer von Wilhelm Grimm.

 

Zugleich zog dieser Madonnen-Kult Spott auf sich: Die Gottesmutter wurde zum beliebten Motiv für Karikaturisten, die damit tagesaktuelle Ereignisse kommentierten. Und zur sprudelnden Einnahme-Quelle für Kitsch-Produzenten – die Ausstellung versammelt ein ganzes Panoptikum schaurig schöner Beispiele für ihre inflationäre Verwendung auf Stick-Bildern, Ansteck-Nadeln und Kaffee-Tassen.

 

Engel überflügeln die Gottesmutter

 

Wobei die Madonna bald von zwei ihrer Begleiter überflügelt wurde: Die beiden Engel am unteren Bildrand begannen, ein Eigenleben zu führen. Als putzig-niedliche Werbeträger für Genüsse aller Art ist ihre Beliebtheit bis heute ungebrochen – auf Pralinen-Schachteln, Gruß-Postkarten oder Spielzeug.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier einen Beitrag über die Ausstellung "Das Jahrhundert Vasaris" mit Werken von Florentiner Zeichnern des Cinquecento in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Drunter und Drüber – Altdorfer, Cranach und Dürer auf der Spur" über Gemälde-Analysen mit Infrarot-Reflektographie in der Alten Pinakothek, München

 

und hier eine Lobes-Hymne auf den Film "Die Mühle und das Kreuz" von Lech Majewski: die Verfilmung eines Gemäldes von Pieter Brueghel.

Im 20. Jahrhundert erlebte die Madonna ihren weltweiten Siegeszug; Raffaels Meisterwerk trieb die visuelle Globalisierung voran. Sogar indische Künstler adoptierten es: Auf hinduistischen Andachts-Bildern ersetzten sie das Christus-Kind durch den Erlöser-Gott Krishna, der von seiner Pflegemutter Yashoda getragen wird.

 

Rettungs-Legende der Roten Armee

 

Ernste Gefahr drohte ihr nur im Zweiten Weltkrieg: 1943 in einem Eisenbahn-Stollen eingelagert, wurde die Madonna nach der Kapitulation von der Roten Armee in die Sowjetunion abtransportiert. 1955 kehrte sie nach Dresden zurück und wurde im Folgejahr wieder ausgestellt.

 

Moskau behauptete, Rotarmisten hätten sie vor der Zerstörung bewahrt – diese Rettungs-Legende brachte 1960 ein DEFA-Spielfilm auf die Leinwand. Die Propaganda-Version war zählebig; noch 1985 hielt Mikhail Kornetsky sie auf einem Ölschinken im Stil des Sozialistischen Realismus fest.

 

Letzte Aufgabe: Massen-Tourismus

 

Den Zusammenbruch des Kommunismus hat die «Sixtinische Madonna» ebenso unbeschadet überlebt wie das Jahrhundert-Hochwasser in Dresden 2002. Ein halbes Jahrtausend nach ihrer Vollendung bleibt ihr, die einst Staats-Geschenk, Altar-Bild und Fürsten-Schatz war, nur noch eine Aufgabe: Ströme von Touristen in die sächsische Landeshauptstadt zu locken. Mit Erfolg: Die Jubiläums-Ausstellung haben bereits mehr als 150.000 Schaulustige besucht.