Makaber morbide Hirngespinste
Am ärgsten reizt Reynold Reynolds das Potential von Kunst zur Simulation aus: Im Sprengel Museum zeigt er überbordende Kulissen, in denen 1930 der Horror-Streifen «Die Verlorenen» gedreht worden sein soll. In der kestnergesellschaft stopft er eine ganze Raumflucht mit Requisiten und storyboards voll, die dabei Verwendung gefunden hätten; zudem sind kurze Film-Szenen im Ufa-Look zu sehen. Allein: Den Film «The Lost» gibt es nicht – alles fake.
Hätte, könnte, wäre – wenn Kunstwerke nur Hirngespinsten entspringen und sie fort spinnen, entbehren sie jeder Relevanz. Oder entgleiten ins makaber Morbide: Dirk Dietrich Hennig baut eine komplette Holzhütte samt Einrichtung und fälscht Magazin-Titelseiten wie Kunst-Lexika. Er will die Vita des Fluxus-Künstlers Jean Guillaume Ferrée dokumentieren, der 1974 Selbstmord begangen habe. Unsinn: Ferrée hat nie gelebt, konnte somit auch nicht sterben.
Impressionen der Ausstellung im Sprengel Museum
Das Geld ist da und muss weg
Dieser Rückzug ins Wolkenkuckucksheim ist typisch für Nachwuchs-Künstler, denen schlicht handwerkliches Können, Bildung und Lebenserfahrung fehlt, um mehr als Nabelschau zu betreiben. «An entire generation that has nothing to say», besang schon die Neo-Rock-Band «The Strokes» 2001 auf ihrem Debüt-Album «Is this it?» ihre Altersgenossen: die Kinder von Spiele-Konsolen und Smartphones.
Was den Kuratoren ihre Aufgabe erleichtert: Sie kaufen die üblichen Verdächtigen ein, die bei namhaften Galeristen unter Vertrag sind, und schütten sie mit Arbeits-Stipendien zu. Das Geld ist da und muss weg.
In der Ausstellung wie auf dem Rummelplatz
Derweil freut sich das Publikum über leicht konsumierbare Freizeit-Vergnügen: Besucher solcher Groß-Ausstellungen schlendern meist hindurch wie über Rummelplätze. Sie gönnen jedem Werk nur kurze Blicke, weil sie sofort erkennen, dass mehr Aufmerksamkeit nicht lohnt: Das könnte unser Kind auch, hätte es so viel Taschengeld.
Der Katalog wird allenfalls gekauft, um ihn daheim als Staubfänger ins Regal zu stellen – als Status-Symbol des Infotainment-Zeitalters: Seht her, wir waren da, sind also keine Banausen!
Alle sind zufrieden
Lesen Sie hier alle Beiträge zur dOCUMENTA (13) bei Kunst+Film
und hier eine Kritik der 7. Berlin-Biennale
und hier einen Beitrag über die Schau "Based in Berlin" mit Werken von 80 in Berlin lebenden Nachwuchs-Künstlern an fünf Ausstellungs-Orten.
Die Künstler, weil sie im Karussell der Eitelkeiten immer höher und weiter fliegen. Die regionale Wirtschaft, weil Kultur-Tourismus Einnahmen bringt. Und das Publikum, weil alles schön bunt und abwechslungsreich ist. Auf der Strecke bleibt nur Kunst, die ihren Namen verdiente – als Medium kreativer Weltbefragung und Selbstvergewisserung.
Wachpersonal schlägt Kasernenhof-Ton an
In einer Hinsicht macht «Made in Germany Zwei» jedoch seinem volltönenden Namen alle Ehre: Im Sprengel Museum beaufsichtigen Rudel von Aufpassern 65+ die Räume und verlangen alle paar Minuten, die Eintrittskarte vorzuzeigen.
Während die Damen wenigstens höflich bleiben, schlagen rüstige Rentner dabei einen kernigen Kasernenhof-Ton an, der an die unseligsten Zeiten der deutschen Geschichte gemahnt. So pflegt das Wachpersonal eine Tradition, für die unsereins weltweit berühmt-berüchtigt ist: «Made in Germany» bleibt in Hannover ein Qualitäts-Siegel aus deutschen Landen.