Hermann Hesse ist vor genau 50 Jahren gestorben, und alle wollen mit dem toten Jubilar Kasse machen. «Der Spiegel» setzt ihn auf den Titel der aktuellen Ausgabe; der Suhrkamp-Verlag lässt seinen populärsten Autor, von dessen Büchern 150 Millionen Exemplare verkauft wurden, aus dem Jenseits Leser-Fragen bei Facebook beantworten.
Info
Siddharta
Regie: Conrad Rooks, 85 min., USA 1972;
mit: Shashi Kapoor, Simi Garewal, Romesh Sharma
Zwei Silberne Löwen in Venedig
Er hatte 1966 den halbautobiographischen Film «Chappaqua» über seine Drogensucht und Heilung gedreht – womit er den Silbernen Löwen bei der Biennale in Venedig gewann. Das gelang ihm sechs Jahre später wieder mit «Siddharta»; danach zog sich Rooks nach Indien und Thailand zurück, wo er 1985 starb.
Offizieller Film-Trailer
Bergman-Kameramann dreht betörende Bilder
Die Hesse-Verfilmung war für Rooks ein Herzens-Anliegen, das er jahrelang vorbereitete. Indien schottete sich gegen westliche Einflüsse ab; für ausländische Filmemacher war es schwierig, Visa und Drehgenehmigungen zu erhalten.
Als Kameramann gewann Rooks den Schweden Sven Nykvist für sein Projekt, der an 22 Filmen von Ingmar Bergman mitgewirkt hat. Nykvist nahm am Ufer des Ganges, in alten Tempel-Ruinen und der heiligen Stadt Rhishikesh betörende Bilder auf, mit denen er die unter Hippies grassierende Indien-Sehnsucht bediente: In Rishikesh hatten schon die Beatles, Beach Boys und Donovan Inspiration und Seelenfrieden gesucht.
Liebes-Kunst bei Kurtisane lernen
Davon handelt auch Hesses Erzählung: Ein junger Brahmane (Shashi Kapoor, damals großer Bollywood-Star), der den Vornamen des historischen Buddha trägt, durchwandert auf der Suche nach Erlösung verschiedene Stationen. Er lebt mit seinem Freund Govinda als Asket im Wald; anschließend folgen beide dem predigenden Buddha.
Während Govinda ihm treu bleibt, wendet Siddharta sich ab: In der Stadt trifft er auf die Kurtisane Kumala (Simi Garewal), bei der er die Kunst der Liebe erlernt. Um sie aushalten zu können, arbeitet er für den reichen Kaufmann Kamaswami (Pinchoo Kapoor) und wird selbst wohlhabend.
Light version östlicher Weisheitslehren
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Das Koloniale Auge" über frühe Porträtfotografie in Indien im Museum für Fotografie, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Gandhāra” zur antiken graeco-indischen Mischkultur im Museum DKM, Duisburg
und hier eine Besprechung der Doku "Der atmende Gott – Reise zum Ursprung des modernen Yoga" von Jan Schmidt-Garre
und hier einen Beitrag über die Ausstellung “The Last Harvest” mit Bildern von Indiens National-Dichter Rabindranath Tagore im Museum für Asiatische Kunst, Berlin-Dahlem.
Damit begeisterte Hesses Erzählung in der Nachkriegszeit ihre Leser, die darin eine light version östlicher Weisheitslehren fanden. Heute lassen sich die raunenden Dialoge der Protagonisten nur noch schwer ertragen; ihre verschwatzte Sinnsuche klingt in unseren Ohren arg naiv und mystisch ergriffen.
Einmalige Aufnahmen aus Indien
Der Bildsprache sieht man deutlich an, dass Regisseur Rooks wenig Erfahrung hatte und sein Werk fast so alt wie Hesses Grab ist: Statische Einstellungen, unbeholfene Personenführung und Anschlussfehler en masse machen «Siddharta» allenfalls für filmhistorisch Interessierte zum ungetrübten Sehvergnügen.
Dennoch lohnt, diese Ausgrabung anzuschauen: weniger für die erste Sex-Szene des indischen Kinos, die heute possierlich prüde wirkt, als vielmehr wegen einmaliger Aufnahmen aus dem ländlichen Indien.
Zwar verändert sich das Leben von Bauern auf dem Subkontinent seit Jahrhunderten kaum, doch so unberührt und traditionell dürfte es heutzutage kein Besucher mehr erleben. Insofern ist «Siddharta» ein Meilenstein der Kino-Geschichte: als Dokumentarfilm wider Willen.