dOCUMENTA (13)

Rundgang durch den Hauptbahnhof

Mit Macheten gemeuchelt wie beim Genozid in Ruanda: Boden-Skulptur aus dem Raum mit Werken von Kudzanai Chiurai. Foto: ohe
Vom Warenumschlag- zum Schuttablade-Platz: Im heutigen Kultur-Bahnhof wird ein Sammelsurium von Werken gezeigt, das seine wechselvolle Geschichte widerspiegelt. Leer stehende Lager-Hallen beherbergen aufwändig inszenierte Beiträge.

Mechanisches Ballett aus Jalousien

 

In der letzten Kammer dieser Saal-Flucht ist die Video-Installation «Muster/ Rushes» zu sehen. Clemens von Wedemeyer rollt in drei 30-minütigen Spielfilm-Episoden die Geschichte des Klosters Breitenau bei Kassel auf: Im NS-Regime war dort ein KZ untergebracht, in den 1950er Jahren ein Erziehungsheim, heute ist es ein Museum. Die Projektions-Leinwände bilden ein Dreieck: Sieht man einen Film, hört man zugleich Töne der beiden anderen.

 

Nebenan füllt eine riesige Installation des Koreaners Haegue Yang eine frühere Abfertigungs-Halle. Von der Decke hängen Dutzende Jalousien und bewegen sich computergesteuert wie von Geisterhand: ein sprödes mechanisches Ballett. Links befindet sich der Eingang zur Installation «The Refusal of Time» von William Kentridge aus Südafrika – einer der gelungensten Beiträge zur documenta.

 

Gesamtkunstwerk für alle Sinne

 

Auf alle Wände wird fortlaufend der Film «Shadow Procession» projiziert: eine Trickfilm-Montage von Scherenschnitt-Figuren in der für Kentridge typischen Schwarzweiß-Ästhetik. Begleitet von bruitistischen Orchester-Klängen und gefolgt von aufwändigen Collagen, in denen er durch Buch-Seiten läuft oder mit Texten spielt. In der Mitte des Raumes presst eine Art perpetuum mobile hölzerne Quader aneinander – ein Gesamtkunstwerk für alle Sinne.

 

Die können sich in der Cafeteria am Ende des Nordflügels erholen. Der von hier aus gut sichtbare Schrott-Platz ist ein Kunstwerk von Lara Favaretto: Die Italienerin stellt einzelne Altmetall-Teile separat aus.

 

Antifaschistischer Apfelsaft vom KZ-Geistlichen

 

Hier wird auch antifaschistischer Apfelsaft ausgeschenkt, den der Künstler Jimmy Durham aus Früchten von Korbinian Aigner keltern lässt: Der Geistliche wurde von den Nazis im KZ Dachau interniert und züchtete dort Apfel-Sorten – seine naiven Apfel-Aquarelle werden im Fridericianum gezeigt.

 

Zurück in die unmittelbare Gegenwart führt der Südflügel: Die Installation «The Pixelated Revolution» des Libanesen Rabih Mroué ist dem Bürgerkrieg in Syrien gewidmet. Daumen-Kinos zeigen in Einzelbildern Handy-Filmaufnahmen von Syrern, die dabei starben.

 

Gestern erschossen – heute ausgestellt!

 

Beim Durchblättern färbt Tinte auf die Finger ab – man macht sich im Wortsinne die Hände schmutzig. Aktueller kann politisch engagierte Kunst kaum sein: Gestern in Damaskus erschossen – heute schon auf der documenta ausgestellt! Und makaberer auch nicht.

 

Hintergrund

Hier finden Sie alle Beiträge zur documenta bei Kunst+Film.

 

Lesen Sie hier ein Porträt des Künstlers Clemens von Wedemeyer mit Auszügen seiner Video-Arbeit "Metropolis" in der Berlinischen Galerie

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "William Kentridge: Five Themes" in der Albertina, Wien.

Subtiler geht Bani Abidi aus Pakistan vor: Ihre dreiteilige Video-Installation «Death at a 30 Degree Angle» zeigt Fragmente eines überlebensgroßen Denkmals, das im Film hergestellt wird. Damit will ein Dritte-Welt-Potentat seinen Nachruhm sichern – sein groteskes Selbst-Verständnis springt ins Auge.

 

Künstler-Mode in Kasseler Kaufhaus

 

Eher plakativ und zugleich mitreißend sinnlich sind die Arbeiten, mit denen Kudzanai Chiurai aus Simbabwe einen Raum füllt. Gemälde, Skulpturen, Fotos und Videos vermitteln ein facettenreiches Bild von urbanen Eliten im heutigen Afrika – zwischen Luxus und Leiden, Grandezza und Gewalt.

 

Dagegen wirkt nebenan das Werk der US-Amerikanerin Seth Price dekadent: Sie hat Pseudo-Kleidungsstücke entworfen, deren Futter mit den kleinteiligen Mustern aus Geschäfts-Briefen bedruckt ist, die ihren Inhalt von außen unkenntlich machen sollen. Tragbare Varianten dieser Fetzen sind während der documenta in einem Kasseler Kaufhaus zu haben – als Künstler-Mode für jedermann.