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Letzte Ölung Nigerdelta: Das Drama der Erdölförderung in zeitgenössischen Fotografien
17.03.2012 - 16.09.2012
täglich außer montags von 9.30 Uhr bis 17.30 Uhr im Staatlichen Museum für Völkerkunde, Maximilianstr. 42, München
Katalog 16,80 €
12.10.2012 - 15.09.2013
täglich außer montags 11 bis 17 Uhr, Völkerkundemuseum im Residenzschloss, Schlossstraße 1, Oettingen
24.05.2014 - 25.01.2015
täglich außer montags 10 bis 17 Uhr, Museum Natur und Mensch, Gerberau 32, Freiburg im Breisgau
Seit 1956 wird an der Mündung des Niger-Flusses in den Golf von Guinea Erdöl gefördert. Von multinationalen Konzernen wie Shell, Exxon und Texaco sowie lokalen Unternehmen: Ihre Förder-Pumpen, Leitungen und Raffinerien überwuchern die Region wie ein Krebs-Geschwür. Schlecht gewartete Anlagen und lecke Rohre führen zu unermesslicher Zerstörung der Umwelt.
Muster-Beispiel für Fluch des Erdöls
Nigeria ist das Muster-Beispiel für ein Land, auf dem der «Fluch des Erdöls» lastet. Das größte Land Schwarzafrikas erwirtschaftet mit Öl-Ausfuhr 90 Prozent der Devisen und 80 Prozent seines Staats-Haushaltes. Milliarden-Einnahmen fließen in die Taschen von Eliten und Militär: Bei den 30 Millionen Einwohnern des Deltas kommt fast nichts davon an.
Stattdessen leiden sie unter den Folgen: Gewässer und Mangroven-Sümpfe sind verschmutzt, Fische praktisch ausgestorben. Auf verseuchten Böden wachsen keine Feld-Früchte. Wichtigste Einkommens-Quelle ist so genanntes «oil bunkering»: Aus Pipelines illegal abgezapftes Erdöl wird in improvisierten Raffinerien zu Benzin verarbeitet und am Straßenrand verkauft.
Interview mit Kurator Stefan Eisenhofer + Ausstellungs-Impressionen
Himmel brennt sechs Mal täglich
Ein todbringendes Geschäft: Häufig kommt es zu Explosionen und Bränden, bei denen viele Menschen sterben. Auch ohne Unfälle schadet es der Gesundheit; Dämpfe und Ruß der Raffinerien greifen sie stark an. Was die Leute gewohnt sind: Das bei der Öl-Förderung entstehende Erdgas wird von den Multis einfach abgefackelt – direkt neben Siedlungen. Auf Satelliten-Fotos erscheinen die Gas-Fackeln als «stabile Licht-Quellen»: Sechs Mal täglich «brennt der Himmel», sagen Anwohner.
Sie protestieren seit Jahrzehnten gegen die Missstände; teils friedlich, teils gewalttätig. Lokale Rebellen entführen öfter ausländische Mitarbeiter der Öl-Konzerne, um Abhilfe zu erzwingen. Ohne Erfolg: Die Regierung geht mit Truppen gegen die Bevölkerung vor und überlässt sie ansonsten sich selbst. Um Unruhen zu vermeiden, verlegen die Multis ihre Förderung auf Offshore-Bohrinseln: Weit vor der Küste fällt die Umwelt-Belastung weniger auf.
Bis zu den Knöcheln in Blut und Eingeweide
Großformatige Aufnahmen von heimischen Fotografen wie George Osodi und Akintunde Akinleye oder US-Kollegen wie Michael Kamber und Ed Kashi zeigen detailreich alle Facetten des Desasters. Auf Leuchtkästen montiert, kontrastieren satte Farben mit den skandalösen Zuständen von De-facto-Rassentrennung, die sie vorführen: etwa moderne, abgeschottete Produktions-Stätten in Sichtweite von verrotteten Slums.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Besprechung der Foto-Ausstellung "Edward Burtynsky – Oil" über den Kreislauf der Erdöl-Industrie in der Galerie C/O Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Momente des Selbst" über zeitgenössische Porträt-Fotografie in Afrika in The Walther Collection, Neu-Ulm.
und hier eine Rezension der Foto-Ausstellung “Nadav Kander: Yangtze – The Long River & Robert Polidori: Pripyat and Chernobyl” mit Bildern von Umwelt-Katastrophen in China + der Ukraine in der Galerie Camerawork, Berlin
Brosamen der Petrol-Wirtschaft
Wobei die Region schon lange kein tropisches Paradies mehr ist, wie Exponate aus dem Bestand des Völkerkunde-Museums belegen: Seit dem 15. Jahrhundert wurden von hier aus Elfenbein und Sklaven nach Europa und Amerika exportiert. Ende des 19. Jahrhunderts kam Palmöl hinzu, um den Bedarf an Schmierstoffen während der Industrialisierung zu decken.
Doch solche Phasen ließen die Lebenswelt der regionalen Ethnien unangetastet. Erst die Erdöl-Industrie zerstörte die Erwerbs-Grundlagen von Fischern und Bauern. Nun fristen sie ein erbärmliches Dasein als Handlanger, die Brosamen der Petrol-Wirtschaft auflesen. Was kaum rückgängig zu machen ist: Nach UN-Schätzungen würde es mehr als 30 Jahre dauern, alle Umwelt-Schäden zu beseitigen – wozu die herrschende Kleptokratie bislang nicht bereit ist.