Andreas Dresen

Politik bis zur tropfenden Heizung

Trotzt lachend dem anstrengenden Politik-Alltag: Regisseur Andreas Dresen ist eine Frohnatur. Foto: Piffl Medien
Für «Herr Wichmann aus der dritten Reihe» hat Andreas Dresen den CDU-Abgeordneten ein Jahr lang beobachtet. Politik hätte er sich nie so kleinteilig und mühsam vorgestellt, sagt der Regisseur – und bewundert die Geduld des MdL.

Herr Dresen, vor zehn Jahren haben sie den Politik-Alltag von Henryk Wichmann erstmals dokumentiert. Planten Sie schon damals eine Fortsetzung?

 

Nein, für mich war der Film damals abgeschlossen. Doch dadurch bekam Henryk Wichmann einen gewissen Kult-Status; deswegen habe ich über die Jahre seinen Werdegang verfolgt. Nach der letzten Landtags-Wahl hieß es in der Presse: «Henryk Wichmann hat es wieder nicht geschafft». Die CDU hatte 19 Mandate gewonnen – und er war auf Platz 20 der Landesliste.

 

Acht Wochen später zog Wichmann trotzdem in den Landtag ein: Ein CDU-Abgeordneter wechselte ins EU-Parlament, und er rückte nach. Da wollte ich wissen: Wie füllt er sein Mandat mit Leben? Wir trafen uns: Er erzählte mir, dass er Bürger-Büros eröffnen und viel im Wahlkreis arbeiten wollte. Das schien mir interessant – so kam der zweite Film als Langzeit-Dokumentation zustande.

 

Jeder muss seine Unabhängigkeit behalten

 

War er einverstanden?

 

Info

Herr Wichmann
aus der dritten Reihe

 

Regie: Andreas Dresen, 90 min., Deutschland 2012;
mit: Henryk Wichmann, Matthias Platzeck + dem Schrei-Adler

 

Website zum Film

Sofort. Schon beim ersten Film war die Atmosphäre zwischen uns sehr offen: Wir haben über alles geredet. Er weiß, dass ich kein CDU-Wähler bin, aber auch, dass ich ihn nie in die Pfanne hauen würde: Ich schätze seine Arbeit sehr.

 

Die Spielregeln waren klar: Er konnte bestimmen, wann wir die Kamera ausschalten, und hatte nach den Drehtagen ein Widerspruchsrecht. Nach dem Folgetag gehörte das Material mir. Er hat natürlich den fertigen Film gesehen, aber ich hätte keine Szenen geändert. Jeder muss seine Unabhängigkeit behalten; darüber gab es nie Dissens.

 

Donquichotterie produziert Komik

 

War ihnen klar, dass Wichmann so bürgernah auftritt – und würden sie einen Politiker porträtieren, der in Ausschuss-Arbeit aufgeht?

 

Das weiß ich nicht. Herrn Wichmann kannte ich schon: Er hat keine Scheu vor irgendetwas. Durch seine unerschrockene Art, fast schon Donquichotterie, setzt er sich permanent komplizierten Konstellationen aus. Das produziert neben Dramatik auch eine gehörige Portion Komik, was für einen Film sehr hilfreich ist; und das Vertrauen zwischen uns wuchs.

 

Ich habe an vielen Sitzungen teilgenommen: Die sind filmisch keine Knaller. Für mich war ausschlaggebend, dass er in den Wahlkreis gehen würde. Was dort passiert, konnte ich nicht wissen: Ich habe es mir nicht ansatzweise so kleinteilig und mühsam vorgestellt!

 

Lieber zum Abgeordneten als Hausmeister gehen

 

Ich dachte, Politik schlägt größere Schneisen in die Böschung. Doch hier zeigte sich etwas weit Verzweigtes und Detailverliebtes – das ging bis zur tropfenden Heizung. Anstatt zum Hausmeister zu gehen, wenden sich die Leute an ihren Landtags-Abgeordneten. Henryk wiederum war sich nicht zu schade, sich tatsächlich um all diese Dinge zu kümmern.

 

Ich habe mich manchmal gefragt, wie er die Übersicht behält. Ich verlor sie recht schnell, und es dauerte, bis ich sie wieder gefunden habe. Zu guter Letzt ist der Film völlig anders geworden, als ich anfangs annahm, obwohl er genau das erzählt, was ich mir vorgestellt habe.


Interview mit Andreas Dresen über den Film


 

Regional-Politik ohne Phrasendrescherei

 

Haben Sie miteinander über aktuelle politische Fragen diskutiert?

 

Eigentlich weniger. Bei der Film-Premiere auf der Berlinale wurde Wichmann nach der Arabellion gefragt: Er antwortete, er wisse, wie man Radwege baut, aber für die arabische Welt habe er keine Lösung. Er sieht sich bewusst als Regional-Politiker und betreibt keine politische Phrasendrescherei.

 

Natürlich haben wir uns über Politik unterhalten, aber ohne ins Detail zu gehen. Die Dreharbeiten waren sehr anstrengend: Es ging hektisch zu, weil Henryk recht hochtourig läuft – viel schneller, als ich es bin. Sein Aktivismus, der für den Film von Vorteil ist, war für die Dreharbeiten eher nachteilig. Daran mussten wir uns erst gewöhnen.

 

CDU-Fraktion war einverstanden

 

Hat er sich dazu geäußert, wie seine Partei zu den Wichmann-Filmen steht?

 

Ich habe vor den Dreharbeiten der CDU-Fraktion das Projekt vorgestellt: Alle haben zugestimmt. Wir hatten eine Drehgenehmigung für alle Fraktions-Sitzungen; nur in Einzelfällen wollten Personen nicht aufgenommen werden. Generell gab es wenig Vorbehalte.

 

Bisher hat nur ein Teil der Fraktion den Film gesehen. Denjenigen, die ihn auf der Berlinale sahen, hat er sehr gut gefallen – jedenfalls sagen sie das. Abgeordnete sind auch nur Menschen: Manche reagieren mit Hochachtung, andere mit Neid oder Missgunst; man weiß es nicht.

 

Viel Egoismus und Ignoranz der Bürger

 

Vor zehn Jahren wollte Herr Wichmann noch hoch hinaus, jetzt wirkt er undogmatisch um Sachlösungen bemüht. Wollten sie zeigen, wie kleinteilig und mühselig sein Politik-Alltag ist?

 

Das hat sich so ergeben. Zu Beginn der Dreharbeiten wusste ich überhaupt nicht, was mich erwartet. Ich hatte es mir nicht so basisnah vorgestellt, sondern dachte, er würde größere Linien verfolgen – etwa in der Parteipolitik, die dann kaum eine Rolle spielt.

 

Im Laufe der Zeit wuchs mein Respekt vor ihm: wie er völlig ohne Zynismus agiert. Das schlägt sich im Film nieder, obwohl ich keinesfalls volkshochschulmäßig belehren will. Manchmal hat mich gewundert, womit die Bürger ihn behelligen – da ist viel Egoismus und Ignoranz im Spiel.