Florian Opitz

Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Gefesselt von den Zeit-Messern: Wandgemälde an einem Haus in Berlin-Kreuzberg. Foto: Camino Filmverleih
(Kinostart: 27.9.) Die Welt, über die Marcel Proust sein Hauptwerk schrieb, ist längst passé. Regisseur Opitz sucht nach entschleunigten Alternativen zum Turbo-Kapitalismus – und findet schlichte, aber bedenkenswerte Einsichten.

«Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» ist ein opus magnum der Weltliteratur für Leser mit viel Zeit für Lektüre. Marcel Proust schrieb daran mehr als 13 Jahre lang. Als er 1922 starb, blieb sein Hauptwerk unabgeschlossen. Es entfaltet auf mehr als 3000 Seiten in aller Seelen-Ruhe das Panorama einer ganzen Epoche: der beschaulichen großbürgerlichen Lebenswelt vor dem Ersten Weltkrieg.

 

Info

 

Speed - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

 

Regie: Florian Opitz, 95 min., Deutschland 2012;
mit: Lothar Seiwert, Hartmut Rosa, Karlheinz Geißler

 

Website zum Film

 

Den sprichwörtlich gewordenen Titel zitiert Regisseur Florian Opitz für seinen Dokumentarfilm über das entgegengesetzte Phänomen: eine globalisierte Weltgesellschaft, die immer hektischer agiert. Beschleunigung ist das Gebot der Stunde – alles wird immer schneller.

 

Muss alles bleiben, wie es ist?

 

Worunter viele Menschen leiden: Stress, Burn-out und Depressionen sind Volkskrankheiten. Warum das so ist, und ob es sich ändern lässt, sind die grundlegenden Fragen, die der Film stellt. Ohne sich mit allzu schlichten Antworten zu begnügen.


Offizieller Film-Trailer


 

Maschinen geben den Takt vor

 

Opitz geht systematisch vor: Er schildert seine Beobachtungen einem Experten und bittet ihn um eine Stellungnahme. Mit dessen Thesen sucht er den nächsten Gesprächspartner auf. Ein simples, aber wirkungsvolles Verfahren: Am Ende hat sich der Wald der Abstraktionen gelichtet, und man sieht etwas klarer. Zumal der Film die einzelnen Stationen einfallsreich und ansprechend bebildert.

 

«Zeitmanagement-Papst» Lothar Seiwert fordert dazu auf, sich aufs Wesentliche zu beschränken. Aber wie? Der Psychotherapeut Bernd Sprenger stellt fest, Überforderung liege oft am Unvermögen, sich abzugrenzen. Was der Zeitforscher und Wirtschaftspädagoge Karlheinz Geißler auf nonstop arbeitende Maschinen zurückführt: Menschen versuchten verzweifelt, mitzuhalten, um sämtliche Optionen zu nutzen.

 

An der Börse handeln fast nur noch Computer

 

Dabei sieht der Soziologe Hartmut Rosa einen Teufelskreis am Werk: Technische Beschleunigung führe zu unsteteren sozialen Beziehungen. Um damit zurecht zu kommen, vertrauten viele Menschen auf mehr Technik: Biogenetische Eingriffe in den Körper, um ihn noch leistungsfähiger zu machen, seien nur eine Frage der Zeit.

 

Sofern sie überhaupt nötig sind: Im Börsen-Handel werden bereits 90 Prozent aller Transaktionen von Computern untereinander durchgeführt – sie reagieren schneller als jeder Broker. Zeit ist Geld, und jeder Vorsprung lässt sich profitabel nutzen: Bis falsche Signale in einer Kettenreaktion zum Crash führen.

 

Zeitvertreib von Luxus-Aussteigern

 

Um seinem persönlichen Zusammenbruch zuvorzukommen, ist der Top-Manager Rudolf Wötzel ausgestiegen: Der ehemalige Investment-Banker betreibt nun eine Berghütte in den Alpen. Gewinn muss sie nicht abwerfen; in seinem früheren Leben hat Wötzel genug verdient.

 

Auch Douglas Tompkins, einst Mitbesitzer der Textil-Ketten «Esprit» und «North Face», kann seine Zeit frei einteilen: Vom Multimillionen-Erlös seiner Anteile kauft er Landstriche in Patagonien und wandelt sie in Naturschutz-Gebiete um. Ein teures Hobby, das sich nicht jeder leisten kann.

 

Bruttonational-Glück oder Grund-Einkommen?

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier im Interview "Mehr Freizeit ohne Maschinen" mit Regisseur Fernando Meirelles sein Plädoyer gegen zeitfressende Technik

 

und hier im Interview "Mönche sind Fixsterne der Welt" mit Schauspieler Lambert Wilson seine Erfahrung mit dem Zeit-Rhythmus im Kloster.

 

Die Bergbauern-Familie Batzli lebt zufrieden von den Früchten ihrer Handarbeit: Sie folgt dem Rhythmus der Tages- und Jahreszeiten. Was Millionen Städtern verwehrt ist – ebenso wie die buddhistische Gelassenheit in Bhutan. Dort verfolgt die Regierung das Ziel, anstelle des Wirtschaftswachstums das «Bruttonational-Glück» zu steigern. Ein Modell, das sich bislang kein Industriestaat zueigen macht.

 

Deshalb landet Opitz am Ende beim hierzulande diskutierten Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens für alle: Es würde zumindest die Überbietungs-Logik der Konkurrenz-Gesellschaft durchbrechen. Ob es realisier- und finanzierbar wäre, bleibt umstritten.

 

Nur noch das Wichtigste

 

Auch Opitz kann keinen Heils-Plan für den überreizten Turbo-Kapitalismus anbieten. Doch zumindest einen sinnvollen Appell: Jeder möge für sich klären, was ihm persönlich am Wichtigsten ist, sich darauf konzentrieren und darin Erfüllung finden. Also das Einfache, das so schwer zu machen ist. Und nun – Sendepause!