Baden-Baden

Wangechi Mutu: Solch ungeahnte Tiefen – This undreamt descent

Wangechi Mutu: Humming (Detail), 2010; Mixed media, ink, paint, glitter, plastic pearls on mylar; 239 x 201 cm
Farbenprächtig schillernde Fragmente von Reklame und Pornos: Fundstücke aus Zeitschriften verarbeitet die kenianische Künstlerin zu vielschichtigen Collagen. Ihre verstörend verführerischen Werke sind in der Kunsthalle zu sehen.

Der Empfang ist überwältigend: im gedämpft beleuchteten Kabinett, rundum mit Gaze-Stoffen verhängt. An der Stirnwand hängt ein riesiges Bündel aus Kleintier-Pelzen, als sei man in das Lager eines Wilderers geraten. Über einer Holzplatte hängen Flaschen, aus denen Wein tropft. Er hinterlässt Pfützen und Schlieren in allen Rot-Tönen – die Assoziation mit trocknendem Blut ist beabsichtigt.

 

Info

Wangechi Mutu:
Solch ungeahnte Tiefen - This undreamt descent

 

14.07.2012 - 30.09.2012
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, Lichtentaler Allee 8a, Baden-Baden

 

Katalog 20 €

 

Weitere Informationen

«Exhuming Gluttony: Another Requiem» heißt die Raum-Installation, auf Deutsch: «Völlerei exhumieren». Dem ging offenbar ein Gemetzel voraus: Bei ähnlichen Arbeiten hat Wangechi Mutu anstelle einer Platte Pritschen aus weißen Holz-Latten verwendet. Auf solchen Pritschen wurden Opfer des Massakers in Ruanda aufgebahrt, um ihre Leichen in der Sonne zu dörren.

 

Vermeintlicher Verwesungs-Geruch

 

Ein verlockend anziehendes und zugleich monströses Ensemble – man meint, Verwesungs-Geruch zu schnuppern. Wie schwül-faulige Düfte im tropischen Regenwald, wo aus Zersetzung ständig neues Leben entsteht. Wobei der Horror ungreifbar bleibt; eine dunkle Ahnung, die fremdartiger Schönheit entspringt.


Impressionen der Ausstellung von Wangechi Mutu 2010 im Deutsche Guggenheim, Berlin


 

Radikaler als Dada + Surrealismus

 

Ähnlich numinos schillernd sind die Bilder der in den USA lebenden Kenianerin, die 2010 von der Deutschen Bank zur «Künstlerin des Jahres» gekürt wurde. Aus Fragmenten, die sie aus Zeitschriften und Werbung ausschneidet, fertigt sie komplexe Collagen an. Menschliche Silhouetten und Körperteile umzingeln und überlagern Objekte aller Art, bis sie im wimmelnden Bestiarium fast unkenntlich werden.

 

Das erinnert an Dada und Surrealismus, an Werke von Hannah Höch und Max Ernst, doch Mutu geht radikaler vor. Ihre Formen prallen nicht aufeinander, sondern durchdringen sich gegenseitig. Virtuos bringt sie Konturen und farbenprächtige Muster zur Deckung, wie einst Archimboldo Gesichter aus Pflanzen und Früchten zusammensetzte. Applikationen aus Neon-Lack, Glitter und Plastik-Perlen verleihen ihren Bildern verführerischen Oberflächen-Glanz.

 

Körper als Konsum-Artikel

 

Erst auf den zweiten Blick erkennt man, wie abgründig etliche Motive sind. Etwa in der Serie «The Ark»: Auf Postkarten, die wie Sammler-Stücke in Vitrinen ausgelegt werden, nehmen nackte Frauen-Gestalten obszöne Posen ein. Kein Wunder: Sie stammen aus Mode-Journalen und Pornos – wobei die Quellen kaum zu unterscheiden sind. Doch ihre vulgären Haltungen kommen dezent daher; eingebettet in tausenderlei Accessoires, die sie gnädig verhüllen.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Afrikanische Stelen im Kontext zeitgenössischer Kunst" in der Galerie Hirschmann, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Momente des Selbst” über zeitgenössische Porträt-Fotografie in Afrika in The Walther Collection, Neu-Ulm

 

und hier eine kultiversum-Rezension der Ausstellung "My dirty little heaven" mit Werken von Wangechi Mutu im Deutsche Guggenheim, Berlin.

Körper als Konsum-Artikel, von Reklame aggressiv angepriesen wie jedes beliebige Produkt. Oder kaltherzig entblößt: Manche Porträts zeigt Mutu zweifach – frontal und im Seitenprofil wie Fahndungs-Fotos der Polizei, von denen sie inspiriert sind. Oder mit sexuell aufgeladenen Bild-Titeln wie «Venus Trap» («Venus-Falle») und «La Petite Mort», auf Französisch ein Synonym für den Orgasmus: Sie lassen harmlos gerundete Umrisse aufreizend erotisch erscheinen.

 

Loseblatt-Sammlung als Katalog

 

Ähnlich den Skulpturen von Hans Bellmer oder Louise Bourgeoise changieren diese organisch anmutenden Gebilde zwischen Anspielungen auf Ekstase, Fortpflanzung, Gewalt und Tod. Wie unauflöslich derlei miteinander verquickt ist, daran erinnert Mutu in allen Farben des Regenbogens. Ihre Bildsprache, die weder schreiende Reize noch symbolische Verrätselung scheut, bringt feministische Kritik an der Zurichtung weiblicher Körper den Seh-Gewohnheiten der Generation Youtube näher.

 

Das findet seine kongeniale Ergänzung im Katalog zur Ausstellung. Er ist wie eine Loseblatt-Sammlung gestaltet: Der Papp-Schuber enthält ein Konvolut aus 32 einzelnen Tafeln. Vorne mit der Abbildung eines Exponats oder einem kurzen Text und rückseitig wie Postkarten im XXL-Format bedruckt: um Mutus verstörend verführerische Botschaften in alle Welt zu versenden.