Der neben dem Bürgerkrieg in Syrien derzeit blutigste Krieg auf der Welt wird nicht in Afghanistan oder Irak ausgefochten, sondern im OECD-Mitgliedsland Mexiko: mit rund 30.000 Toten seit 2006. Brutal kämpfen schwer bewaffnete Drogen-Banden um Marktanteile in ihrem kriminellen Geschäft, das bis zu 40 Milliarden Dollar Gewinn pro Jahr abwirft.
Info
Miss Bala
Regie: Gerardo Naranjo, 113 min., Mexiko 2011;
mit: Stephanie Sigman, Noé Hernández, James Russo
Schießerei vor Schönheits-Konkurrenz
Die meisten Opfer sind unschuldige Zivilisten – wie in jedem Krieg. Eines von ihnen ist die Hauptfigur von «Miss Bala»: Die 23-jährige Laura (Stephanie Sigman) will an einer Schönheits-Konkurrenz teilnehmen, gerät aber am Vorabend in einem Nachtclub unversehens in eine wilde Schießerei.
Offizieller Filmtrailer
Zwei Seiten einer Medaille
Von den Behörden wird sie kurzerhand an eine beteiligte Killer-Truppe ausgeliefert. Deren Boss Lino (Noé Hernández) wirft ein Auge auf sie und spannt Laura für Kurier-Dienste ein; zur Belohnung verspricht er ihr den Sieg im beauty contest. Ihr helfen weder Verweigerung noch Flucht-Versuche; sie ist der Willkür ihrer Kidnapper völlig ausgeliefert. Bis die Laura als Lockvogel auf einen hochrangigen General ansetzen, was im Massaker endet.
Diese Anti-Heldin ist an das reale Vorbild einer früheren Schönheits-Königin angelehnt, die tatsächlich in solche Machenschaften verstrickt wurde. Was Regisseur Gerardo Naranjo erlaubt, beide Sphären als zwei Seiten einer Medaille zu zeigen: Trotz Talmi-Glanz geht es beim Wettbewerb um die «Miss Baja California» hinter den Kulissen genauso bestechlich und erbarmungslos zu wie beim Geschacher um Geld-Koffer und Drogen-Pakete.
Physisch spürbarer Schock-Zustand
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie eine Kritik des Films "Savages" von Oliver Stone über Drogenbanden-Kriege in Südkalifornien
und hier einen Beitrag über “Whores’ Glory – Ein Triptychon” von Michael Glawogger über Prostitution in Mexiko
und hier einen kultiversum-Beitrag zum Film "Sin Nombre" von Cary Fukunaga über Flucht vor Drogenkrieg in Mexiko.
Der Film spart nicht an Action-Szenen, doch ohne jede glorifizierende Ästhetik. Er zeigt sie aus Lauras Ameisen-Perspektive ohnmächtiger Panik, wie Frontsoldaten eine Schlacht erleben: als alle Sinne betäubendes Chaos aus Lärm, Dreck und Blutvergießen. In dieser Hölle wirken selbst grauenhafte Details bald gewöhnlich – und damit umso Grauen erregender.
Unspektakulär garantiert tödlich
So gelingt dem Regisseur das gespenstische Psychogramm einer Gesellschaft, in die sich Gesetzlosigkeit und Gewalt tief hineingefressen haben wie Metastasen in den Organismus bei Krebs im Endstadium. Ganz unspektakulär, aber garantiert tödlich – diese entsetzliche Beiläufigkeit macht «Miss Bala» so aufwühlend. Damit trifft Naranjo einen Nerv: Sein Film ist als Mexikos Kandidat für den Auslands-Oscar nominiert.