Den Nahost-Konflikt hat ein israelischer Regisseur einmal «die beliebteste politische soap opera der Welt» genannt. Mit eindeutig besetzten Rollen: Die Palästinenser sind underdogs, die als Opfer von Vertreibung und Besatzung zur Identifikation einladen – solange sie nicht zu Gewalt greifen. Die Israelis sind gestrauchelte Helden: Die Existenz ihres stets bedrohten Staates verteidigen sie mit Methoden, die sich kaum noch rechtfertigen lassen.
Info
Policeman - Ha-Shoter
Regie: Nadav Lapid, 105 min., Israel 2011;
mit: Yiftach Klein, Yaara Pelzig, Gal Hoyberger
Überraschende Massen-Proteste
So kamen die Massen-Proteste im Herbst 2011 für das Ausland überraschend: Vor einem Jahr demonstrierten landesweit Hunderttausende gegen Teuerung, sich rasch verschlechternde Lebensbedingungen und für sozialen Ausgleich. Von diesem Israel handelt «Policeman».
Offizieller Filmtrailer
Männerbündelei in Elite-Einheit
Hauptfigur Yaron (Yiftach Klein) ist Mitglied einer Elite-Einheit für Anti-Terror-Operationen: Keine Kampfmaschine, aber ein Alpha-Mann, der keine Gelegenheit auslässt, seine Muskeln zu stählen. Er und seine Kollegen bilden ein verschworenes Team, das seine Männerbündelei mit kernigem Schulterklopfen und Macho-Ritualen bekräftigt.
Sie leben quasi in einer Großfamilie samt Gattinnen und künftigen Kindern – Yarons Frau ist hochschwanger. Hier regiert Gruppenzwang: Krebs-Patient Ariel (Gal Hoyberger) wird genötigt, die Verantwortung für arabische Tote bei einem Einsatz auf sich zu nehmen, weil ein Schwerkranker nicht belangt wird.
Mehr Zeit für Pamphlete als für Attentat
Nach fast einer Stunde wechselt der Film abrupt zu einem anderen Clan, der sich ebenso an starken Worten und Waffen berauscht. Junge Idealisten planen, Millionäre zu entführen, um die Spaltung in Arm und Reich anzuprangern. Mit dem revolutionären Pathos linksradikaler Terroristen der 1970er Jahre: Auf die Ausformulierung ihrer Pamphlete verwenden sie weit mehr Mühe als auf die Vorbereitung ihres Coups.
Angeführt wird die Schar von Nathanael (Michael Aloni), Sohn aus gutem Hause, doch zusammengehalten von der schönen Shira (Yaara Pelzig): Ihre fanatische Intransigenz erstickt jede Debatte. Die Revoluzzer kidnappen bei einer Superreichen-Hochzeit die Familie des Bräutigams, um TV-Sendezeit zu erpressen. Was sofort Yarons Sonder-Kommando anrücken lässt: Ihre Leben – und damit beide Erzählstränge – kreuzen sich für einen kurzen Augenblick.
Milieus bindet erotisches Begehren
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau
bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Lobes-Hymne auf die Doku "Life in Stills" von Tamar Tal über die israelische Fotografin Miriam Weissenstein
und hier eine Besprechung der Komödie "Das Schwein von Gaza" von Sylvain Estibal
sowie einen Beitrag zur Doku “Cinema Jenin” von Marcus Vetter über die Restaurierung eines Kinos in Palästina.
Die scharfe Zweiteilung des Films erlaubt ihm, beide Milieus eingehend zu studieren. Dabei werden deren Analogien fast schon überdeutlich freigelegt: ihr ideologischer Autismus, wortkarger Kult der Selbstaufopferung und kaum verhülltes erotisches Begehren, das die Angehörigen aneinander bindet. Wobei Lapid stellenweise etwas dick aufträgt; etwa wenn er Shira am Abend vor dem Überfall gierig Unbekannte küssen oder ihr Auto von plötzlich auftauchenden Punks demolieren lässt.
Gesellschaft im Dampf-Kochtopf
Dennoch: Die destruktive Energie, die der Film so unterschwellig wie allgegenwärtig einfängt, lässt beklommen schaudern. Israel erscheint als Gesellschaft im Dampf-Kochtopf, in dem der Druck ständig steigt. Auch ohne RAF-Revival: Schon 1995 verfolgte der Mörder von Ministerpräsident Yitzhak Rabin nicht weniger fatale Absichten.