Mannheim

Architecture China – The 100 Contemporary Projects

Ningbo History Museum mit Fassaden aus recyclten Alt-Ziegeln, Architekten: Wang Shu, Lu Wenyu, Konstruktion 2006-2008. Foto: © rem, Fang Zhenning
Nichts boomt in China mehr als der Bau: Ganze Stadtteile entstehen in Windeseile. Welche Architektur-Formen sich dort in jüngster Zeit herausgebildet haben, zeigen die REM Museen: anschaulich, facettenreich und Schwindel erregend.

«Vogelnest» von Großbauten umzingelt

 

Das hat asiatische Vorbilder: In Tokio, Hongkong, Seoul und Bangkok entstanden ähnlich funktionale und uniforme Handels-Zentren, für die altehrwürdige Viertel komplett weichen mussten. Jetzt zieht das Riesen-Reich der Mitte nach: mit Stadtentwicklung in gigantischem Maßstab, die bei Europäern, die Kleinteiligeres gewöhnt sind, Schwindel auslösen kann.

 

Wie ihr Tempo: Als das von Herzog & de Meuron gemeinsam mit dem Künstler Ai Weiwei konzipierte Nationalstadion in Peking für die Olympischen Spiele 2008 eröffnet wurde, stand es einsam auf weiter Flur. Vier Jahre später ist das «Vogelnest» von anderen Großbauten umzingelt.

 

Riesen-Vogel mit Muschel-Dach

 

Doch existiert in China auch aktuelle Architektur mit eindeutig chinesischer Handschrift, wie Fang aufzeigt: mit Beispielen aus der Provinz – worunter immer noch Millionenstädte zu verstehen sind. Auffallend viele Entwürfe weisen biomorphe Umrisse auf: etwa das Kongress-Zentrum von Hainan, das in Draufsicht wie ein Riesenvogel mit ausgebreiteten Schwingen und geschupptem Muschel-Dach wirkt.

 

Oder eine Mittel-Schule, deren Trakte Architekt Li Hu wie Palmen-Zweige anordnet. Wobei die Übernahme organischen Formen auch in Luxus-Kitsch umschlagen kann: Wie beim «Aqua Boutique Hotel» von Sun Jianhua in einer Natur-Höhle von Shenzen, an dessen Fassade der größte künstliche Wasserfall Chinas herunterprasselt.

 

Rundhaus für Hunderte von Bewohnern

 

Dessen ungeachtet gibt es beeindruckende Synthesen aus Tradition und Moderne: So greift das Büro URBANUS den Rundhaus-Typ Tulou auf, den das Hakka-Volk vor Jahrhunderten entwickelte. Daraus wird mit zeitgenössischen Techniken und Materialien ein Sozialwohnungs-Bau für Hunderte von Bewohnern, der durch die kreisrunde Anlage eine gemeinsame Mitte definiert.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier einen Bericht zur  "Architektur Biennale 2012", der aktuellen internationalen Architektur-Ausstellung in Venedig

 

sowie hier eine Rezension der Ausstellung von SANAA Tokio – Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa im Aedes Architekturforum Berlin.

 

und hier einen Beitrag zur Ausstellung “Bucky Fuller & Spaceship Earth” über die Architektur-Utopien von Buckminster R. Fuller + Sir Norman Foster im MARTa, Herford

Am entschiedensten orientiert sich Wang Shu an Bestehendem. Sein verwinkelter Riegel-Bau für die Kunstakademie in Hangzhou passt sich in der Ausrichtung ganz dem hügeligen Boden an, auf dem er angelegt wurde. Das Dach ließ Wang mit Millionen von Ziegeln aus abgerissenen Dörfern decken.

 

Pritzker-Preis 2012 für Wang Shu

 

Auch das Geschichts-Museum in Ningbo und einen Pavillon auf der EXPO in Schanghai errichtete Wang mithilfe von Recycling alter Bau-Stoffe. Für seine nachhaltigen Konzepte voller Respekt für Überkommenes erhielt er als erster Chinese den Pritzker-Preis 2012; er hat den Stellenwert eines Nobelpreises für Architekten.

 

Da fragt sich, ob Wang in der Zunft seiner heimischen Kollegen als wegweisender Vordenker gilt – oder als origineller Außenseiter, dessen Schöpfungen nicht massentauglich für die jetzige Turbo-Modernisierung sind. Vermutlich beides: An aus dem Boden gestampften Geschäfts-Zentren wird sich Wang kaum beteiligen. Deren Planer könnten dagegen ihre Entwürfe weltweit exportieren. Wie rasch, ist kaum abzuschätzen – Kurator Fang beschränkt seinen Ausblick lakonisch auf den Satz: «Lassen Sie uns abwarten und sehen».