Wachowski + Tom Tykwer

Cloud Atlas

Sonmi-451(Doona Bae) und Chang (Jim Sturgess) kommen sich näher. Foto: © X Verleih AG
(Kinostart: 15.11.) Neo trifft Lola in einer «Ästhetik des Widerstands» 2.0: Die Wachowski-Geschwister und Tom Tykwer verfilmen einen Episoden-Roman als Parallel-Erzählungen voller Verbindungs-Linien – und feiern das revoltierende Subjekt.

Verbindungen geben Episoden Struktur

 

Dessen Liebhaber und Brief-Freund will viele Jahre später einen Atomenergie-Skandal ans Tageslicht bringen; er wendet sich dafür an die Investigativ-Journalistin Louisa Ray (Halle Berry). Deren Erkenntnisse landen jedoch erst 2012 auf dem Schreibtisch eines Verlegers (Jim Broadbent), der seinen eigenen Kampf gegen die Abschiebung ins Altersheim ausficht – weiter und weiter pflanzt sich das Motiv des Aufbegehrens fort. 

 

Dabei werden so verschiedene Themen wie Sklaverei, Urheberrecht, Korruption, Selbstbestimmung im Alter, künstliches Leben und Kannibalismus recht sorglos miteinander verquirlt. Es sind eher die vielen Verbindungen zwischen den Erzähl-Abschnitten als die Episoden selbst, die der Geschichte eine formale Struktur geben und ihren Subtext bilden.

 

Pointe mit 100-jähriger Verspätung

 

Die sechs Kapitel könnten, jedes für sich, einem anderen Stück Genre-Kino entnommen sein: Das Schiff der ersten Episode erinnert an Steven Spielbergs Sklavenhandels-Epos «Amistad» (1997), der AKW-Skandal an den Polit-Thriller «Silkwood» (1983) mit Meryl Streep und eine Ausbrecher-Clique im Altersheim an Senioren-Komödien wie «Cocoon» (1985).


Offizieller Making-Of-Trailer


 

Alle Rassen- + Klassen-Schranken durchbrechen

 

In dieser Episode wird augenzwinkernd ein Schlüssel-Satz aus der klassischen Science-Fiction-Dystopie «Soylent Green» (1973) zitiert. Diesem Witz wird, wenn später ein Dienstleistungs-Klon in «Neo-Seoul» die (Un-)Natur seiner Existenz erkennt, mit mehr als 100-jähriger Verspätung eine Pointe nachgeliefert: ein Feuerwerk von Anspielungen für Film-Freaks.  

 

Unter all diesen Verbindungs-Linien wird die Kontinuität am sichtbarsten bei den Schauspielern, die in unterschiedlichen Rollen wieder auftauchen. Das heißt nicht, dass sich alle auf den ersten Blick identifizieren lassen: einige Auftritte dauern nur Sekunden. Dabei überqueren die Darsteller dank einer Oscar-verdächtigen Maske auch sämtliche Grenzen von race, class & gender  – manchmal um den Preis unfreiwilliger Komik. 

 

Gelegenheit zu gewaltigem Organigramm

 

Immerhin verlaufen die Wege der Seelenwanderung nicht schnurgerade: So beginnt Tom Hanks seinen Lauf durch die Jahrhunderte als durchaus verdorbener Charakter. Erst in seiner letzten Inkarnation darf er sich zum Licht der Erkenntnis leiten lassen – natürlich von Halle Berry, die durchgängig beständige Rechtschaffenheit repräsentiert. 

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau
bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier die Rezension des kenianischen Films "Nairobi Half Life" von Tosh Gitonga, produziert von Tom Tykwer

  

sowie eine Kritik des Science-Fiction-Films "Prometheus-Dunkle Zeichen" von Ridley Scott zur Wiederbelebung des Alien-Mythos.

Dagegen bleiben Hugh Grant und Hugo Weaving von Anfang bis Ende Agenten der Unterdrückung. Wer Spaß daran hat, könnte ein gewaltiges Organigramm erstellen, in dem sich alle Charaktere, ihre Attribute und Wechsel-Beziehungen eintragen lassen; diese Gelegenheit bieten heutzutage nicht viele Filme. 

 

Mehr als Summe seiner Teile

 

So ähnlich sind auch die Wachowskis und Tykwer vorgegangen, als sie sich daran machten, die Chronologie des Romans in die Parallel-Erzählungen einer filmischen Montage zu übertragen. Dabei kommt ein sehr literarischer Film heraus; aber einer, dessen «Text» sich tatsächlich mit allen Kino-Sinnen aufnehmen lässt. 

 

Eine hervorragende Leistung: Erfolgreich kombiniert «Cloud Atlas» sechs eher harmlose, von einem Klebstoff aus Esoterik, Schwarz-Weiß-Malerei und erzählerischer Allmacht zusammen gehaltene Episoden zu einem größeren Ganzen, das mehr ergibt als die Summe seiner Teile.