München

Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937-1955

Offizielle NS-Kunst - Adolf Ziegler: Die vier Elemente, 1937 (li.) und Otto Albert Hirth: Das Haus der deutschen Kunst und sein geplanter Ergänzungsbau, 1940. Foto: © 2012 Haus der Kunst, München
Vergangenheits-Aufarbeitung in eigener Sache: Das Haus der Kunst zeigt zum 75-jährigen Bestehen die Geschichte des Baus vom NS-Kulturtempel bis zur Reha-Einrichtung für die Moderne in der Nachkriegs-Zeit – so wechselhaft wie die ganze Epoche.

Bunte Tarn-Netze erinnern an Bomben-Schutz

 

Die aktuelle Ausstellung darf man als Schluss-Stein der hauseigenen Vergangenheits-Bewältigung betrachten; sie fasst Bekanntes zusammen und bereichert es mit pikanten Details. Schon von außen unübersehbar: Der Künstler Christian Philipp Müller hat die HdK-Fassade mit bunten Tarn-Netzen verhängt. Als Reminiszenz an NS-Tarnung während des Zweiten Weltkriegs: Netze und Buschwerk auf dem Dach schützten den Bau erfolgreich vor Bomber-Angriffen.

 

Müllers «Interventionen» durchziehen das ganze Haus. In seine Mittelhalle postiert er an zentraler Stelle, wo einst Hitlers Rednerpult stand, ein Blow-Up-Foto: Es zeigt eine Modenschau 1946 – flankiert von Zier-Bäumen, die Auftritte des Führers einrahmten. Im Treppenhaus sind O-Töne von der Grundsteinlegung 1933 zu hören; unter der Decke schwebt ein Schnappschuss von Hitler in Zivil beim Plausch mit Größen des Nazi-Kunstbetriebs.

 

Zarter Schmelz einer Schokoladen-Replik in Weiß

 

Am Ausstellungs-Eingang läuft das Neun-Meter-Modell des Hauses als Video-Loop. Es beherrscht als Replik auch den ersten Saal, von Müller geschmäcklerisch in weißer Schokolade ausgeführt – in Anspielung auf die Verführungskraft der NS-Ideologie. Die Wände füllen Foto-Tapeten mit GDK-Aufnahmen und Zitaten. Original-Dokumente zeichnen die Entstehungs-Geschichte von Troosts Entwürfen bis zur Eröffnung 1937 nach.

 

Im zweiten Saal stehen von den Nazis geschätzte und verworfene Kunstwerke einander gegenüber: die Ölschinken in realistischer Manier von NS-Hofkünstlern wie im Depot auf Gitterwänden angebracht; dagegen Werke der Avantgarde, die 1933 aussortiert oder ins Ausland verkauft wurden und nach dem Krieg zurück ins HdK fanden, in konventioneller Hängung an der Wand.

 

Belling war zugleich entartet + akzeptiert

 

Wobei der Abstand zwischen beiden Gruppen geringer ist, als die drastische Inszenierung suggeriert: Bilder von NS-Künstlern wurden auf den Biennalen von Venedig auch einem internationalen Publikum vorgeführt. Abstrakte Skulpturen von Rudolf Belling wie «Dreiklang» (1924) oder «Kopf in Messing» (1925) verbannten die Nazis in die Propaganda-Schau «Entartete Kunst». Zugleich war seine fast naturalistische Porträt-Bronze des Boxers Max Schmeling in den GDK zu sehen – warum, ist ungeklärt.

 

Der dritte Saal überrascht mit Sporthallen-Anmutung. Unter US-Leitung wurden in mehreren Sälen Markierungen für Basketball-Felder angebracht; Müller knüpft daran an und hängt passende Körbe dazu. Samt einem kargen Arrangement von Hochregalen voller Plakate und Kataloge zu Meister-der-Moderne-Ausstellungen in der Nachkriegszeit – mit Belegen zu documenta und Biennalen als Schlusspunkt.

 

Keine internationale Dimension

 

Hintergrund

Lesen Sie hier einen Bericht zur Freischaltung der Datenbank "GDK Research" mit umfassender Online-Dokumentation von NS-Kunst

 

und hier eine Rezension der Doku "Heino Jaeger - Look Before You Kuck" von Gerd Kroske über gewagte NS-Parodien des 70er-Jahre-Kabarettisten.

Diese Saalfolge bietet ein Wechselbad unterschiedlichster Signale und symbolschwangerer Zeichen. Sie zu entschlüsseln, gelingt mithilfe des hervorragenden Beihefts: Es erläutert auf wenigen Seiten konzise alle Stationen. Allerdings vermisst man die internationale Dimension, die HdK-Chef Okwui Enwezor 2011 versprach: Anlässlich der Datenbank-Freischaltung hatte er einen Vergleich der GDK mit ähnlichen Kunst-Konzepten der Epoche angekündigt.

 

Außer dem Hinweis auf die Weltausstellung 1937 – bei der in Spaniens Pavillon Picassos «Guernica»-Ikone hing, die 1955 wiederum im Haus der Kunst gezeigt wurde – ist davon nichts zu bemerken. Ansonsten lässt diese Historien-Schau keine Aufklärungs-Wünsche offen: Wem das Beiheft nicht ausreicht, der sei auf den Katalog verwiesen, der Anfang 2013 erscheint. Künftig soll auch das Haus-Archiv in gesonderten Schau-Räumen permanent zugänglich sein: Damit wird das HdK die Aufarbeitung seiner unseligen Frühgeschichte erschöpfend abschließen.