Kim Ki-duk

Pieta

Mutter und Sohn? Foto: © Copyright MFA+ FilmDistribution e.K.
(Kinostart: 8.11.) Ein Schulden-Eintreiber schlägt gnadenlos zu, bis ihm seine vermeintliche Mutter Mitgefühl beibringt – und sich tückisch rächt. Für diese verstörende Parabel erhielt Südkoreas Star-Regisseur Kim Ki-duk den «Goldenen Löwen».

Kang-do (Lee Jeong-jin) ist ein Rache-Dämon, der wie ein apokalyptischer Reiter über seine Opfer herfällt: kleine Handwerker, die in winzigen Garagen-Werkstätten mit Fräsen, Stanzen und Walzen Metall bearbeiten. Sie haben von einem Kredit-Hai Geld geliehen und können die Wucher-Zinsen nicht zurückzahlen.

 

Info

Pieta

 

Regie: Kim Ki-duk, 104 min., Südkorea 2012;
mit: Cho Min-soo, Lee Jeong-jin, Woo Gi-hong

 

Website zum Film

Der Schulden-Eintreiber malträtiert sie mit ihrem eigenen Werkzeug: Sobald sie verkrüppelt sind, kann er ihre Invaliden-Versicherung kassieren. Sein unbändiger Sadismus zeugt von völliger Gefühlskälte: Kang-do ist elternlos aufgewachsen, lebt isoliert in einer chaotischen Bude und kennt nur einsame Triebabfuhr.

 

Mutter-Treue trotz Vergewaltigung

 

Plötzlich tritt die ältere Mi-sun (Cho Min-soo) in sein Leben und behauptet, seine Mutter zu sein. Sie fleht um Verzeihung, dass sie ihn als Kind sich selbst überließ, und weicht nicht von seiner Seite – nicht einmal, als Kang-do sie vergewaltigt.


Offizieller Filmtrailer


 

Wie Maria mit Christus im Leiden vereint

 

Ihre zähe Beharrlichkeit lässt ihn auftauen: Er lernt die Freuden fürsorglicher Mutter-Liebe kennen. Mit frisch gewecktem Mitleid will er Schuldner nicht mehr misshandeln; nun fürchtet er, aus Rachedurst könne jemand Mi-sun etwas antun.

 

Seine Sorge ist berechtigt – doch anders, als von ihm vermutet: Die Frau hat sein Vertrauen nur erschlichen, um ihn umso härter zu treffen. Erst schickt sie ihn auf einen Irrweg, der ihn zu seinen früheren Opfer führt; sie verfluchen ihn ob seiner Missetaten. Dann fädelt sie eine dramatische Zuspitzung ein, der sie und er selbst zum Opfer fallen: Wie in einer Pietà-Darstellung der über den toten Christus trauernden Maria werden beide im Leiden vereint.

 

«Goldener Löwe» als Anerkennung für Gesamtwerk

 

Diese rabenschwarze Moritat über Schuld und Sühne wurde bei der Biennale in Venedig 2012 mit dem «Goldenen Löwen» prämiert. Im Vorjahr hatte Kim Ki-duk bereits den Hauptpreis der Nebensektion Un certain regard bei den Festspielen in Cannes erhalten: Für seine Doku «Arirang – Bekenntnisse eines Filmemachers», in der er schonungslos seine dreijährige Schaffens-Krise wegen Depressionen enthüllte.

 

Bereits zuvor war Kim der bei weitem am häufigsten ausgezeichnete Regisseur Südkoreas: Dessen Film-Industrie hat der workoholic mit 15 Produktionen in 13 Jahren Weltgeltung im Arthouse-Segment verschafft. Ihm fehlte nur der erste Preis bei einem internationalen A-Festival. Der «Goldene Löwe» holt das nach; offenbar muss man ihn als Ermutigung in Form von Anerkennung für sein Gesamtwerk verstehen. Denn «Pieta» ist keineswegs Kims bester Film.

 

Gassen-Gewirr aus rostigem Stahl

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau
bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier die Rezension der Doku "Arirang - Bekenntnisse eines Filmemachers" von Kim Ki-duk über seine Depressionen

 

und hier eine Besprechung des japanischen Erotik-Psycho-Thrillers "Guilty of Romance" von Sion Sono

 

sowie einen kultiversum-Beitrag über den südkoreanischen Film "Mother" von Erfolgs-Regisseur Bong Joon-ho.

Allerdings hat er für seine Parabel über seelische Abgründe den passenden Schauplatz gewählt: Das traditionelle Viertel Cheonggyecheon mitten in der Hauptstadt Seoul ist ein verwinkeltes Gassen-Gewirr, in dem Metall-Bearbeiter schuften wie Bergleute im Schacht. Kim kennt es gut: Hier schlug er sich als Jugendlicher mit Gelegenheits-Jobs durch. Ein düstere Welt aus rostigem Stahl, kreischenden Motoren und rasselnden Rollläden, die allmählich der Modernisierung zum Opfer fällt: Ladenlokale müssen Bürotürmen weichen.

 

Moralische Wucht ohne Nuancen

 

Drohende Vernichtung aus Profit-Streben durchtränkt den gesamten Film: «Geld ist der Anfang von allem», versichert Mi-sun ihrem vermeintlichen Sohn – und zählt sämtliche menschlichen Gefühle auf. Auch die selbstlosen: Ein junger Vater wäre bereit, sich beide Hände abhacken zu lassen, käme die Versicherungs-Prämie seinem Neugeborenen zugute.

 

Indem der Regisseur diesmal nur moralische Extrem-Situationen konstruiert, streicht er alle Nuancen: Die Protagonisten wechseln ihr Verhalten abrupt, bleiben aber unentrinnbar in Schuld-Zusammenhänge verstrickt. Dabei geht der ästhetische Mehrwert verloren, der seine früheren Filme auszeichnete: überraschende Wendungen durch attraktiv verrätselte Symbolik und poetische Bild-Erfindungen. In «Pieta» ist alles eindeutig und jederzeit dem Untergang geweiht. Der Film schlägt mit alttestamentarischer Wucht zu: Man kann sich ihm nur ergeben.