Wozu das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) hier einlädt, hat inzwischen Seltenheitswert: der gemütliche Fernseh-Nachmittag oder -Abend im kleinen Kreis. Kollektives Film-Betrachten findet heutzutage eher in Kino-Sälen oder beim public viewing von Sport-Ereignissen statt; Surfen durch den Cyberspace ist meist ein einsames Vergnügen.
Info
Vidéo Vintage 1963-1983:
Gründungsvideos aus der Sammlung des Centre Pompidou Paris
22.09.2012–10.02.2013
täglich außer montags und dienstags 10 bis 18 Uhr, am Wochenende von 11 bis 18 Uhr im ZKM | Medienmuseum, Lorenzstraße 19, Karlsruhe
Kunterbunte Retro-Ästhetik
Liebevoll mit authentischen Op-Art-Tapeten, Couch-Garnituren und Beistell-Tischchen der Epoche ausgestattet, bietet diese Retro-Ästhetik ein kunterbuntes Seh- und Sitz-Vergnügen: als gefälligen Kontrast zur optisch eher kargen Kost, die auf den Bildschirmen läuft.
Interview auf Englisch mit Kuratorin Christine van Assche + Impressionen der Ausstellung
Erste tragbare Video-Kamera 1967
Video-Kunst sammelt das Centre Pompidou in Paris seit seiner Gründung 1977; es verfügt mittlerweile über eine der größten Kollektionen weltweit. 72 wegweisende Arbeiten von 50 Künstlern aus der Anfangszeit des Mediums sind nun im ZKM zu sehen.
Etwa vom Pionier Nam June Paik, der 1963 in der Wuppertaler «Galerie Parnass» die erste TV-Installation zeigte: 13 Bildschirme mit gleichem, aber jeweils anders manipuliertem Programm. Vier Jahre später brachte Sony seine «Portapak» auf den Markt: die erste tragbare Schwarzweiß-Videokamera mit separatem Aufzeichnungs-Gerät. Damit filmte Paik, wie er sein Hemd aufknöpft.
Faszination der Selbst-Beobachtung
Die Faszination der Selbst-Beobachtung ist den frühesten Werken deutlich anzumerken: Nichts erscheint zu schlicht, um nicht bildwürdig zu sein – die Aufnahme-Qualität spielt kaum eine Rolle. Bewegt-Bilder zu erzeugen und simultan anzusehen, ist noch aufregend genug, auch wenn wenig passiert.
Noch 1980 filmt Mona Hatoum einfach ihr Publikum, während es gleichzeitig die trickreich montierten Live-Bildern betrachtet: Selbstkontrolle ist angesagt, um sich nicht lächerlich zu machen – wie heute beim Einstellen von Privat-Fotos auf Facebook.
Schuss in den Arm vor laufender Kamera
Rasch wird Video zum bevorzugten Medium für Performances und Happenings, um die Aktionen zu konservieren und ihren Zuschauer-Kreis zu erweitern. Manchmal mit schmerzhaftem Körper-Einsatz: Leticia Parente näht Buchstaben in ihre Fußsohle; Chris Burden lässt sich vor laufender Kamera in den Arm schießen. Oder für radikale Konsum-Kritik: Das US-Kollektiv «Ant Farm» steuert 1975 einen Cadillac in eine Wand aus Bildschirmen – und kommt damit in die Fernseh-Nachrichten.
In den 1970er Jahren laden manche öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten Künstler ein, sich mit neuen Schnitt- und Montage-Techniken des aufkommenden Farbfernsehens vertraut zu machen. Nun entstehen experimentelle Collagen, die alle damaligen Möglichkeiten von Farb-Verschiebung und Bild-Verzerrung ausreizen.
TV-Zeitschriften so dick wie Telefonbücher
Am weitesten geht dabei Paik mit «Global Groove» von 1973: ein 28-minütiges, wild flackerndes Bilder-Gewitter aus allen möglichen Quellen, so hektisch geschnitten wie heutige Action-Blockbuster. Die bizarrsten Effekte entstehen durch einen Magneten an der Bildröhre, was den Kathoden-Strahl ablenkt und das Bild völlig deformiert.
Hintergrund
Lesen Sie hier einen Beitrag zur Ausstellung "Der Stand der Bilder" über die Medien-Pioniere Zbigniew Rybczyński + Gábor Bódy in Berlin + Karlsruhe
und hier eine Rezension der Ausstellung “Bild für Bild” über Film + zeitgenössische Kunst im Museum Ostwall, Dortmund
sowie einen Bericht über die Ausstellung “Ten Thousand Waves” mit Hollywood-reifer Video-Kunst von
Isaac Julien im Museum Brandhorst, München
Tausend Jahre Pause
Es gibt aber auch Gegen-Beispiele einer Reduktion auf wenige, fast statische Bilder: etwa bei Samuel Beckett. Der Großmeister des minimalistisch absurden Theaters schrieb mehrere Stücke exklusiv fürs Fernsehen, darunter «Arena Quad I + II» von 1981. Vier Akteure schreiten nacheinander die Achsen eines Quadrats ab; erst in farbige Kutten gehüllt, nach einer Pause in weiße. Auf die Frage, wie lang diese Pause sei, antwortete Beckett: «Tausend Jahre».
So disparat all diese Arbeiten sind, eines haben sie gemeinsam: Sie setzen ihre Bild-Konzepte konsequent um, ohne auf Vermarktung oder gar Einschalt-Quoten zu schielen. Dabei zwingen sie den Zuschauer, sich geduldig auf sie einzulassen: Schnell-Vorlauf oder Zapping ist bei «Vidéo Vintage» nicht möglich. Insofern befördert diese Archäologie-Schau audiovisueller Kunst eine Tugend, die ebenfalls immer seltener wird: Konzentration.