Benh Zeitlin

Beasts Of The Southern Wild

Feuerwerk in der Badewanne: Hushpuppy (Quevenzhané Wallis) auf ihrer Insel. Foto: MFA + Filmdistribution
(Kinostart: 20.12.) Als Hurrikan «Katrina» die Badewannen-Insel überflutete: Die Natur-Katastrophe sieht Regisseur Zeitlin mit den Augen seiner sechsjährigen Hauptdarstellerin – eine surreale Kinder-Fantasie von zauberhafter Schönheit.

Die «Bestien» im Debüt-Film von Benh Zeitlin sind die Bewohner der Insel «The Bathtub» («Die Badewanne») vor der Küste Louisianas. Durch Deiche vom amerikanischen Festland abgeschnitten, leben die sechsjährige Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) und ihr Vater Wink (Dwight Henry) mit mehr oder weniger verschrobenen Nachbarn in der Wildnis, wo die USA bereits zu Ende sind.

 

Info

Beasts Of The
Southern Wild

 

Regie: Benh Zeitlin, 
92 min., USA 2011; 
mit: Quevenzhané Wallis, Dwight Henry, Levy Easterly

 

Website zum Film

Großaufnahmen von Kinder-Händen, die kleine Tiere ans Ohr heben, um ihren Herzschlag zu spüren, und sie dann sorgfältig mit Lehm und Schrott arrangieren, stellen das Universum von Hushpuppy vor: eine Welt aus Animismus, magischem Realismus und einem beständig aufsaugenden und interpretierenden Blick auf das, was nur Erwachsene die Realität nennen. 

 

Bayou community im Mississippi-Delta

 

Die meint es nicht gut mit der kleinen, selbstgenügsamen community im Bayou Country, wie die Sumpf-Landschaft im Mississippi-Delta genannt wird. Als erstes Anzeichen dafür taucht Vater Wink nach tagelanger Abwesenheit wieder in einem Klinik-Kittel auf: verwirrt, zornig und ohne Erklärung. Laien-Darsteller Dwight Henry spielt mit beeindruckender Intensität diesen allein erziehenden Vater, zerrissen zwischen Wut und Liebe zu seiner Tochter.


Offizieller Filmtrailer


 

Pol-Schmelze setzt Auerochsen frei

 

Sie ist alles, was ihm von seiner Frau geblieben ist, die vermutlich starb oder davonlief. In Hushpuppys Welt ist sie ein Licht am Horizont über dem Meer, dessen Wasser-Spiegel bedrohlich ansteigt. Wie das Kind aus der Schule weiß, schmelzen die Pol-Kappen – und setzen dabei womöglich urzeitliche Auerochsen frei, für die Bayou-Menschen «nichts als Frühstück» sind.

 

Tatsächlich wendet sich die Natur, mit der Hushpuppy sich bisher im Einklang wähnte, gegen sie. Als Hurrikan «Katrina» die Küste Louisianas trifft, entscheiden sich Wink und ein paar andere Halsstarrige, zu bleiben. Seine Tochter muss all ihren Mut und ihr Wissen aufbieten, um gegen die Herausforderungen zu bestehen.

 

Surreale Welt hinter dem Deich

 

Das Wasser tötet nun Bäume und Tiere, anstatt sie zu ernähren. Die Auerochsen aus Hushpuppys Vorstellung nähern sich, und eine unbekannte Macht droht, Vater Wink von ihr wegzureißen: Nach einer Dreiviertelstunde auf der Insel erscheint die Welt hinter dem Deich plötzlich wie der surrealste Moment des Films.

 

Das wird mit einer visuellen und dramatischen Wucht erzählt, die im Kino dieses Jahres ihresgleichen sucht. Der Film basiert zwar auf einem Theaterstück von Lucy Alibar, die auch am Drehbuch beteiligt war. Doch zum überwältigen sinnlichen Erlebnis – wie die besten Werke des russischen Regisseurs Andrej Tarkowskis – wird der Film vor allem durch die Kamera-Arbeit in der «Wildnis» des Titels.

 

Insel-Bewohner ziehen den Stöpsel

 

Es ist eine Welt aus ärmlichen Behausungen und Vehikeln, die allesamt aus Abfall der Zivilisation recycelt scheinen: inmitten einer üppigen, aber unfreundlichen Natur. Der Insel-Name «The Bathtub» lässt ahnen, dass hier alles schnell voll Wasser läuft, wenn das Schlimmste eintrifft; nicht zufällig kommen dann die Einwohner auf die Idee, den sprichwörtlichen Stöpsel zu ziehen. 

 

Im Zeichen von «Katrina» sind einige der besten US-Beiträge zur Filmkultur der letzten Jahre entstanden: etwa «When The Levee Broke» («Als der Damm brach»), ein zorniger Dokumentarfilm von Spike Lee über die Katastrophe als von Menschen verursachte Krise der nationalen Solidarität, oder die TV-Serie «Treme», die unmittelbar nach dem Sturm spielt.

 

Magisches Weltbild + humanistischer Blick

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau 
bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films 
"On The Road - Unterwegs" von Walter Salles nach dem Roman von Jack Kerouac

 

und hier einen Beitrag über den Film  "Bombay Beach" von Alma Har’el über einen US-Badeort als Geisterstadt

 

sowie hier eine Rezension der Doku "United States Of Hoodoo" von Oliver Hardt über Voodoo in den US-Südstaaten.

Dazu zählt auch «Beasts of the Southern Wild»: als jederzeit plausibler und schlüssiger Spielfilm mit zahlreichen Qualitäten, darunter einem gehörigen Schuss Surrealismus und einer sagenhaften schauspielerischen Leistung von Quvenzhané Wallis.

 

Ihr magisches Weltbild kombiniert Regisseur Zeitlin mit einem zutiefst humanistischen Blick auf eine Gesellschaft nach dem Gesellschaftsvertrag. Die lebt zwar in vormodernen Zuständen, ist aber keineswegs post-sozial. Wie Hushpuppys Lehrerin zeigt: Sie erzieht ihre Schüler im Bewusstsein, dass es um ihr nacktes Überleben geht.

 

Sich im Kino als Kind fühlen

 

Dieser Überlebenskampf wird mit einer Unmittelbarkeit, Fantasie, Flexibilität und Verletzlichkeit dargestellt, wie sie der Wahrnehmung eines Kindes entsprechen: Film-Momente von solcher Schönheit treten nur alle paar Jahre auf.

 

Sich vor der Leinwand wieder wie ein Kind zu fühlen, ist ja Teil des großen Versprechens des Kinos. Wer dafür mehr braucht als den «Hobbit», darf sich auf diesen Film freuen wie auf Weihnachten – oder, wie Hushpuppy, auf ein Wiedersehen mit ihrer verschwundenen Mutter, die die besten Alligator-Rezepte kennt.