
Den Kaiser brachte Walter Leistikow mit seinen zahllosen Darstellungen von mit Kiefern gesäumten Seen auf die Palme: «Er hat mir den ganzen Grunewald versaut», wetterte Wilhelm II. mit Bezug auf das Berliner Naherholungs-Gebiet, das sich um 1900 zum Villen-Vorort entwickelte.
Info
«Die Welt will Grunewald von mir» – Bilder von Walter Leistikow aus dem Nachlass Werner und Irmgard Küpper
19.10.2012 - 27.01.2013
täglich außer montags
10-18 Uhr
im Bröhan-Museum, Schlossstraße 1a, Berlin
Katalog 18 €
Eher Krimi-Serie als Stadtrand-Idyll
Zum 100-jährigen Todestag ehrte ihn das Bröhan-Museum 2008 mit der Retrospektive «Stimmungslandschaften». Jetzt hat sich die Leistikow-Sammlung des Berliner Landesmuseums für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus noch vergrößert. Ihm hat die ehemalige Sopranistin Irmgard Küpper, vor einigen Monaten verstorben, 15 weitere Bilder vermacht: Anlass für eine neue, umfangreiche Werkschau.
Impressionen der Ausstellung
Zu Küppers Nachlass zählt etwa das Ölgemälde eines Grunewald-Sees in der Abendsonne, dessen Farbklang eher an den Vorspann der TV-Serie «Twin Peaks» von David Lynch als an Idyllen am Berliner Stadtrand erinnert: Schwarzkiefern breiten sich verhangen braun und düster grün am Seeufer aus. Die Szene erhellt noch ein letzter Streifen Sonnenlicht, doch lieblich – wie es sich der Kaiser vielleicht wünschte – wirkt der Wald hier nicht.
Von Liebermann und Corinth geschätzt
Leistikow wurde 1865 in eine Apotheker-Familie aus Bromberg geboren, dem heutigen Bydgoszcz in Polen; als 18-Jähriger zog er nach Berlin. Nach einer Ausbildung beim norwegischen Landschafts-Maler Hans Gude fand Leistikow schnell Anschluss an junge Intellektuelle wie Gerhart Hauptmann oder Theodor Wolff – mit beiden verband ihn eine lebenslange Freundschaft.
Dass ihn auch Künstler-Konkurrenten wie Lovis Corinth oder Max Liebermann schätzten, lag vor allem an seinem Freigeist, Gestaltungswillen und der Respektlosigkeit gegenüber höfischem Establishment. Den Akademie-Präsidenten und Hof-Maler Anton von Werner machte Leistikow sich zum Feind, als er gegen die verkrusteten Jahres-Ausstellungen opponierte.
Auf Landschaften konzentriert
Er gründete 1892 gemeinsam mit Liebermann und neun weiteren Künstlern die Gruppe «Vereinigung der XI», sozusagen den Prototyp einer Produzenten-Galerie. Deren Erfolg ermutigte Leistikow, 1898 die «Berliner Secession» ins Leben zu rufen: Sie konnte bald ihr eigenes Haus am Kurfürstendamm eröffnen. Zwei Jahre später engagierte er sich mit Harry Graf Kessler für die Gründung des «Deutschen Künstlerbundes».
Seine weit reichenden Kontakte in die Kunstwelt spiegeln sich in Leistikows Malerei kaum wider. Er schuf weder Porträts noch Stadt-Ansichten oder Genre-Darstellungen, sondern kommunizierte über die Landschaft, besonders die brandenburgische.
Anonyme Orte im Landschafts-Zusammenhang
Aber auch alpine Szenen und venezianische Seestücke, Aquarell-Zeichnungen und Pastelle aus dem Küpper-Nachlass ergänzen nun die Bröhan-Sammlung. Leistikows bevorzugtes Sujet waren jedoch Berlins zahlreiche Tümpel und Wasserlöcher; dennoch war er kein bloßer Regionalmaler.
Er lotet die karge Mystik dieser Landschaft aus, indem er ständig die gleichen Elemente – Wasser, Himmel, Wald – aneinanderreiht; oft aus wiederkehrender Perspektive der leichten Aufsicht auf eine kurvig geschwungene Bucht. Die gemalten Orte bleiben dabei häufig anonym: keine exakt bestimmbare Topografie, sondern ein landschaftlicher Zusammenhang von Farben und Formen.
Stoische Serialität unspektakulärer Motive
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Stille und bewegte Bilder" mit Werken des iranischen Star-Regisseurs Abbas Kiarostami im Museum Situation Kunst, Bochum
und hier eine Rezension der Ausstellung "Camille Corot: Natur und Traum" über den bedeutenden Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Bilderbuch des Berliner Lebens" über den vom Kaiser als «Rinnsteinkünstler» geschmähten Maler Hans Baluschek im Bröhan-Museum, Berlin.
Leistikows Modernität liegt in der stoischen Serialität völlig unspektakulärer Motive. Er sucht weder Pathos noch Erhabenheit, sondern Stimmungen, die das Wechselspiel von Licht und Schatten, sonnigem Kontrast und Dämmerdunkel der Landschaft auferlegt.
Keine Lebensreform-Esoterik
Seine Nähe zum nordischen Jugendstil darf man heute modisch nennen; damals verkauften sich solche Landschafts-Studien gut. Leistikow beförderte so auch die Popularisierung skandinavischer Kunst in Deutschland. Sein eigenes Faible für die nordische Formensprache zeigt sich in kunstgewerblichen Entwürfen für Webwaren und Tapetenmuster, etwa der dekorativen Auflösung eines Gletscher-Motivs.
Nationalromantische Tendenzen oder ein Hang zur esoterischen Lebensreform-Bewegung, die die Skandinavien-Mode mit sich brachte, sind indes bei Leistikow nicht auszumachen. Als Sezessionist war er kein Sektierer: Im vegetarischen Café am Schlachtensee quartierte er sich vor allem deshalb ein, um immer wieder das stille Wasser zu malen.