
Der japanische Künstler Susumu Shingu schöpft Inspiration und Kraft aus dem Dialog mit der Natur. Seine kinetischen Skulpturen, die technisch und dennoch fragil anmuten, sind über die Welt verstreut; sie finden sich auf Flughäfen, in Museen und als Land-Art-Objekte am Rand der Sahara, am Polarkreis und der Mongolei. Als Brunnen, Wasser- oder Windspiele mit klaren, geometrischen Formen bewegen sie sich wie stille Perpetua mobilia.
Info
Breathing Earth –
Susumu Shingus Traum
Regie: Thomas Riedelsheimer, 93 min., Deutschland/UK 2012;
mit: Susumu Shingu,
Yasuko Shingu, Renzo Piano
Zerrissene Stationen-Reise
Das Thema scheint dem Filmemacher wie auf den Leib geschnitten. Er wurde 2001 mit «Rivers And Tides» über die Land Art von Andy Goldsworthy international bekannt; seither hat Riedelsheimer mehrere Künstler im Film porträtiert. Doch «Breathing Earth» verliert sich irgendwo zwischen vielen Stationen als zerrissene Reise im Kampf um das poetische Moment.
Offizieller Filmtrailer
Sich mit Wind-Energie versorgendes Kunst-Dorf
Zu Beginn der Doku erscheinen weiße Wind-Segel wie ein Phantasma als Spiegelung auf einem Reisfeld. Und Shingu erzählt von seinem Traum, ein Dorf samt Atelier, Restaurant und Amphitheater zu erbauen; es soll sich ausschließlich mit Wind-Energie versorgen, die von den Bau-Kunstwerken der Siedlung selbst erzeugt werden. Tolle Idee, wundervolles Projekt, sympathischer Künstler!
Dann fallen große Worte – etwa, Susumu Shingu sei der «Leonardo da Vinci des 21. Jahrhunderts», der Wind für ihn das Absolute. Der Künstler spricht gerne und erklärt freundlich seine Idee einer personalisierten Natur. Hier wird der Film für Nicht-Japaner schwer verständlich: Europäer hören in der Regel keine Stimmen des Wassers oder des Windes, die ihnen sagen, was «zu tun ist».
Tai-Chi in einer Industriebrache
Zudem wird das Lauschen auf diese Stimmen unnötig musikalisch erschwert: Jazz-Klänge der Alben «On The Wing», «Wings Over Water» und «Darkness und Light» von Stephan Micus weben einen zähen Teppich zu Bildern auf der Suche nach der Poesie in Susumu Shingus Kunst, die leider wenig befriedigend ausfällt.
Nahezu ratlos begleitet der Film das Ehepaar Shingu von Osaka nach Süd-Italien und findet sich in einer Ruhrgebiets-Mondlandschaft wieder, die an Szenen aus Wim Wenders‘ Doku-Hommage an Pina Bausch erinnert. Dort folgt er Überlegungen Shingus, ob stille Windmühlen mit Blick auf Schalke künstlerischen Mehrwert erzeugen und «something more than only artwork» seien könnten. Doch bleibt der Film seltsam verloren: Bilder, Musik, Künstler und sonstige Protagonisten scheinen beziehungslos, wirken wie Tai-Chi in einer Industriebrache.
Bambus-Hain hinter dem Elternhaus
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau
bei Film-Zeit.
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Das Filmteam eilt weiter: via Schottland über Mexiko, wo es sich an sehr schönen und exemplarisch lehrreichen tropischen Schmetterlingen erfreut, zur türkischen Löffel-Insel vor der Küste Istanbuls. Doch die Suche der Shingus nach einem Ort für ihr Breathing-Earth-Projekt gestaltet sich schwierig.
Familiäre Reise-Impressionen
Der Film endet mit dem Blick auf ein nettes, älteres Künstler-Paar, das Arm in Arm eine Shingu-Skulptur betrachtet. Yasuko Shingu fragt ihren Mann, was wohl schöner sei: die Skulptur oder der Sonnenuntergang? Schlusspunkt einer Dokumentation, die an familiäre Reise-Impressionen erinnert.
Susumu Shingu und seine Kunst verschwimmen fremd und episodenhaft. Ein Gutmenschen-Projekt, das von der positiven Kraft des Windes träumt und dabei alle zerstörenden Elemente marginalisiert: ein echtes Weihnachtsmärchen.