Thomas Riedelsheimer

Breathing Earth – Susumu Shingus Traum

Susumu und Yasuko Shingu vor einer Skulptur im Sonnenuntergang. Foto: Piffl Medien GmbH 2012
(Kinostart: 27.12) Der japanische Wind- und Wasser-Skulpteur Susumu Shingu will sein Lebenswerk mit einem Weltverbesserungs-Projekt krönen. Ihn begleitet Star-Dokumentarfilmer Thomas Riedelsheimer auf einer suchenden Film-Reise.

Der japanische Künstler Susumu Shingu schöpft Inspiration und Kraft aus dem Dialog mit der Natur. Seine kinetischen Skulpturen, die technisch und dennoch fragil anmuten, sind über die Welt verstreut; sie finden sich auf Flughäfen, in Museen und als Land-Art-Objekte am Rand der Sahara, am Polarkreis und der Mongolei. Als Brunnen, Wasser- oder Windspiele mit klaren, geometrischen Formen bewegen sie sich wie stille Perpetua mobilia.

 

Info

Breathing Earth ­–
Susumu Shingus Traum

 

Regie: Thomas Riedelsheimer, 93 min., Deutschland/UK 2012; 
mit: Susumu Shingu,
Yasuko Shingu, Renzo Piano

 

Website zum Film

Shingu hat einen Traum: Er möchte ein zukunftsweisendes Projekt realisieren, das technische Innovation, Energiepolitik, gesellschaftliche Utopie und zeitlose Ästhetik miteinander verbindet. Den 75-Jährigen begleitet Star-Dokumentarfilmer Thomas Riedelsheimer auf der Suche nach Verbündeten.

 

Zerrissene Stationen-Reise

 

Das Thema scheint dem Filmemacher wie auf den Leib geschnitten. Er wurde 2001 mit «Rivers And Tides» über die Land Art von Andy Goldsworthy international bekannt; seither hat Riedelsheimer mehrere Künstler im Film porträtiert. Doch «Breathing Earth» verliert sich irgendwo zwischen vielen Stationen als zerrissene Reise im Kampf um das poetische Moment.


Offizieller Filmtrailer


 

Sich mit Wind-Energie versorgendes Kunst-Dorf

 

Zu Beginn der Doku erscheinen weiße Wind-Segel wie ein Phantasma als Spiegelung auf einem Reisfeld. Und Shingu erzählt von seinem Traum, ein Dorf samt Atelier, Restaurant und Amphitheater zu erbauen; es soll sich ausschließlich mit Wind-Energie versorgen, die von den Bau-Kunstwerken der Siedlung selbst erzeugt werden. Tolle Idee, wundervolles Projekt, sympathischer Künstler!

 

Dann fallen große Worte – etwa, Susumu Shingu sei der «Leonardo da Vinci des 21. Jahrhunderts», der Wind für ihn das Absolute. Der Künstler spricht gerne und erklärt freundlich seine Idee einer personalisierten Natur. Hier wird der Film für Nicht-Japaner schwer verständlich: Europäer hören in der Regel keine Stimmen des Wassers oder des Windes, die ihnen sagen, was «zu tun ist».

 

Tai-Chi in einer Industriebrache

 

Zudem wird das Lauschen auf diese Stimmen unnötig musikalisch erschwert: Jazz-Klänge der Alben «On The Wing», «Wings Over Water» und «Darkness und Light» von Stephan Micus weben einen zähen Teppich zu Bildern auf der Suche nach der Poesie in Susumu Shingus Kunst, die leider wenig befriedigend ausfällt.

 

Nahezu ratlos begleitet der Film das Ehepaar Shingu von Osaka nach Süd-Italien und findet sich in einer Ruhrgebiets-Mondlandschaft wieder, die an Szenen aus Wim Wenders‘ Doku-Hommage an Pina Bausch erinnert. Dort folgt er Überlegungen Shingus, ob stille Windmühlen mit Blick auf Schalke künstlerischen Mehrwert erzeugen und «something more than only artwork» seien könnten. Doch bleibt der Film seltsam verloren: Bilder, Musik, Künstler und sonstige Protagonisten scheinen beziehungslos, wirken wie Tai-Chi in einer Industriebrache.

 

Bambus-Hain hinter dem Elternhaus

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau
bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellungen "Richard Long: Berlin Circle & Land Art" im Hamburger Bahnhof, Berlin

 

sowie hier einen documenta (13)-Bericht “Rundgang durch das Ottoneum” über zeitgenössische Öko-Kunst in Kassel

 

und hier eine Kritik des Porträt-Films "Jean Tinguely" von Thomas Thümena über den umstrittenen Maschinen-Künstler.

In Paris trifft Shingu auf Renzo Piano, der dem Freund ein wenig lobhudelt. Zurück im heimischen Atelier in Sanda (Japan) erzählt Shingus Frau vom Verlieben und der Künstler aus seiner Kindheit: Bereits damals habe er Flugobjekte aus Papier und Bambus gebaut, den er aus einem Hain hinter dem Elternhaus holte. Dabei gelingt es Regisseur Riedelsheimer erstmals inne zu halten und die Faszination und Kraft des Windes, die Shingu beschreibt, im Bambus bildnerisch und tonal zu entdecken.

 

Das Filmteam eilt weiter: via Schottland über Mexiko, wo es sich an sehr schönen und exemplarisch lehrreichen tropischen Schmetterlingen erfreut, zur türkischen Löffel-Insel vor der Küste Istanbuls. Doch die Suche der Shingus nach einem Ort für ihr Breathing-Earth-Projekt gestaltet sich schwierig.

 

Familiäre Reise-Impressionen

 

Der Film endet mit dem Blick auf ein nettes, älteres Künstler-Paar, das Arm in Arm eine Shingu-Skulptur betrachtet. Yasuko Shingu fragt ihren Mann, was wohl schöner sei: die Skulptur oder der Sonnenuntergang? Schlusspunkt einer Dokumentation, die an familiäre Reise-Impressionen erinnert.

 

Susumu Shingu und seine Kunst verschwimmen fremd und episodenhaft. Ein Gutmenschen-Projekt, das von der positiven Kraft des Windes träumt und dabei alle zerstörenden Elemente marginalisiert: ein echtes Weihnachtsmärchen.