Er war König, schwul, Kriegsgegner und totaler Ästhet – ein Pionier des Camp, wenn man so will. Er wehrte sich mit Händen und Füßen gegen den Machtverlust der Adels-Dynastien und starb eines unnatürlichen Todes. Hätte es ihn nicht gegeben, ein Drehbuch-Schreiber müsste ihn erfinden.
Info
Ludwig II.
Regie: Peter Sehr +
Marie Noëlle
142 min., Deutschland 2012;
mit: Sabin Tambrea,
Sebastian Schipper,
Hannah Herzsprung
Ratlos nach 140 Minuten
Da wurde es Zeit für einen zeitgemäßen Leinwand-Auftritt. Der Bayrische Rundfunk (BR) hat es übernommen, einen Ludwig für das 21. Jahrhundert zu erfinden; am Ende von überlangen 140 Minuten bleibt jedoch Ratlosigkeit.
Offizieller Filmtrailer
Mix aus Altbekanntem + Altbackenem
Was hätte aus diesem Film alles werden können: eine Revision der Pathologisierung eines aus der Zeit gefallenen Charakters, der heute problemlos seinen Platz in der Mode- oder Unterhaltungs-Branche finden würde; eine moderne Aufarbeitung seiner Homosexualität; großes Schauspieler-Kino oder wenigstens großes Ausstattungs-Kino, etwas Wagnerianisches vielleicht oder zumindest Thomas-Mannhaftes.
Doch der Film versucht von allem ein bisschen und führt nichts zu Ende, vermischt Altbekanntes mit Altbackenem, und neue Ansätze verlaufen im Nichts. Zwar hatte der ausführende BR Zugriff auf Original-Schauplätze von Ludwigs Leben als Drehorte.
Kapriziöser Jung-König nervt
Außer schönen Landschafts-Totalen und Aufnahmen berühmter Traumschlösser weckt aber kaum eine Einstellung Kinogefühle, sondern erinnert daran, dass dieser «Ludwig II.» eine Fernseh-Produktion mit großem Budget ist. Und dass es gilt, eine Zielgruppe anzusprechen, die es entweder wegen fortgeschrittenen Alters nicht überfordert werden darf, oder die historische Stoffe nur noch annimmt, wenn sie mit den Mitteln der «Wanderhure» erzählt werden.
So spielt Hauptdarsteller Sabin Tambrea als junger König zu Beginn zwar glaubwürdig einen Schöngeist, dem Politik und Krieg, eigentlich die gesamte Realität zu schmutzig und verwirrend, eben zu unästhetisch sind; deswegen flüchtet er sich in die Traumwelten der Opern eines Richard Wagners. Schon bald geht einem aber sein kapriziöses Sich-Winden, Greinen und Grübeln auf die Nerven.
Darsteller-Wechsel im letzten Drittel
Denn Ludwigs Entwicklung ist durch die verbürgte Geschichte vorgegeben. Anstatt daraus interessante Aspekte auszuwählen und auszuloten, hakt der Film brav alle Stationen der königlichen Biografie ab – wofür er sich reichlich Zeit lässt.
Umso seltsamer, dass im letzten Drittel dann Sebastian Schipper als gealterter König auftritt; er erscheint wesentlich vielschichtiger, hat aber mit der jugendlichen Version seiner selbst überhaupt nichts zu tun.
Richard Wagner vergreift sich im Ton
Wie wurde der schlanke Jüngling zu diesem missmutigen Fleischberg? Der Film verbirgt die Antwort hinter einem Zeitsprung und hält sich an das offizielle Narrativ, das bereits die Regisseure Helmut Käutner (1955) und Visconti dem Regenten auf den Leib schrieben: versponnen, verdeckt homosexuell, plemplem und am Ende suizidär.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau
bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier einen Beitrag über die Tolstoi-Verfilmung "Anna Karenina" von Joe Wright mit Keira Knightley + Jude Law
und hier eine Besprechung des Melodrams "W.E." von Pop-Ikone Madonna über die Liebe von Edward VIII + Wallis Simpson
sowie hier eine Kritik des französischen Films "Leb wohl, meine Königin!" von Benoît Jacquot mit Diane Kruger als Marie Antoinette.
Unnötiger Umweg übers Kino
Sein Wagner erinnert jederzeit an einen Berliner Taxifahrer, aber nie an einen Dresdner Kapellmeister. Dieser Figur Musikalität oder gar Charisma abzunehmen, fällt schwer. Ludwigs geisteskrankem Bruder, Prinz Otto, gibt Tom Schilling wenigstens eine gewisse Intensität, greift dabei aber mimisch auf sein Repertoire als junger Hitler in der Verfilmung des Tabori-Stücks «Mein Kampf» zurück.
So bleibt schließlich nicht viel Wundersames von diesem wundersamen König übrig. Die biederen Kamera-Einstellungen sind von bestürzender Einfalt, das fernsehtypische Wechselspiel aus Großaufnahmen und statischen Tableaus ähnelt TV-Heimatfilmen, und wenn der König träumt, wird Weichzeichner drüber gelegt. Einen Sog, oder zumindest eine gewisse Stringenz, entfaltet der Film nicht. Der Umweg übers Kino auf den Bildschirm war unnötig.