«For Ellen» der koreanischen Regisseurin So Yong Kim, die in den USA lebt, lief 2012 im Berlinale-Forum und dem Sundance Film Festival; nun kommt ihr dritter Spielfilm ins Kino. Abermals erzählt Kim von einer Scheidung samt Streit ums Sorgerecht für das gemeinsame Kind und dessen Trennung von einem Elternteil.
Info
For Ellen
Regie: So Yong Kim,
94 min., USA 2012;
mit: Paul Dano, Jena Malone, Shaylena Mandigo
Motel-Fliege als Metapher
Eine Fliege umsummt den unruhig schlafenden Joby Taylor (Paul Dano) in einem schäbigen Motel. Im Halbschlaf versucht er, sie zu verscheuchen, doch sie lässt sich nicht vertreiben und stört ihn mit einer Hartnäckigkeit, die selbst den sanftmütigsten Menschen zur Weißglut treiben müsste. Diese Szene bringt als stimmige Metapher Jobys Leben und Dilemma auf den Punkt.
Offizieller Filmtrailer
Der wortkarge junge Rockmusiker wirkt stets unglücklich wie ein klassischer loser, hat Geldsorgen, trinkt zuviel und sieht in seinen Klamotten eher lächerlich als verwegen aus: wie ein rebellischer, aber verunsicherter Teenager, der sich noch nicht gefunden hat und keinerlei Verantwortung übernimmt.
Zwei-Stunden-Treffen mit Tochter
Doch Joby hat bereits Frau und Kind – jedenfalls noch auf dem Papier. Er reist in die Kleinstadt, um die außergerichtliche Scheidung hinter sich zu bringen. Seine Noch-Ehefrau, kommuniziert nur noch über ihren Anwalt mit ihm; sie verlangt, dass er auf das Sorgerecht für Tochter Ellen (Shaylena Mandigo) verzichtet und jeden Kontakt zu ihr aufgibt.
Eigentlich sollte das kein Problem sein; offenbar hatte sich der junge Vater noch nie um das Kind gekümmert. Aber in Anbetracht des drohenden Verlustes wird sich der lethargische Joby zum ersten Mal seiner Vaterrolle bewusst. Er besteht auf einer Kontaktaufnahme zu seiner sechsjährigen Tochter: Ihm werden zwei Stunden mit Ellen zugestanden.
Auf zwielichtige Außenseiter spezialisiert
Dieses Treffen bildet den dramaturgischen Höhepunkt. Dabei begleitet die Kamera Joby stoisch: Ganz nah verweilt sie auf seinem Gesicht oder folgt seinem Blick über die verschneiten Weiten der Provinz im Nordosten der USA. So anstrengend es ist, sich während der ersten Stunde auf das reduzierte Tempo und den eher unsympathischen Protagonisten einzulassen, so kraftvoll zeigt der Film, wie zwischen Vater und Tochter zarte Gefühle von Verbundenheit auftauchen.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau
bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Winterdieb" von Ursula Meier über einen elternlosen Jungen, Gewinner des Silbernen Bären 2012
sowie hier eine Rezension zu “We Need To Talk About Kevin” von Lynne Ramsay über eine völlig gestörte Mutter-Kind-Beziehung mit Tilda Swinton
und hier eine Lobes-Hymne auf das rumänische Mutter-Kind-Drama “Periferic” von Bogdan George Apetri.
Zwischen Antipathie und Menschlichkeit
Das bewies er bereits eindrucksvoll in «Little Miss Sunshine» (2006), «There Will Be Blood» (2007) und zuletzt in «Cowboys & Aliens». Auch diesmal bewegt er sich auf dem schmalen Grat zwischen Antipathie und Menschlichkeit, die Mitgefühl und Verständnis für seine Figur ermöglicht.
Quälend langsam lässt uns die Regisseurin an ihren Protagonisten herankommen. Damit verdeutlicht sie umso mehr, wie schwer es für Joby sein mag, sich anderen Menschen zu öffnen oder für sie eine Bezugs-Person zu sein. Seine kleine Tochter gibt ihm jedoch diese Chance.
Vermeintlich beste Lösung
Die halbstündige Szene der Begegnung von Ellen und Joby ist zauberhaft entwaffnend; sie wirkt nach der sperrigen ersten Film-Hälfte wie eine Befreiung. Für den jungen Vater ist sie ein Abschied, dessen Bedeutung ihm bewusst wird. Durch Ellen muss er sich mit seinem Leben auseinandersetzen und entscheidet sich für die vermeintlich beste Lösung – «For Ellen». Die Frage, ob sie selbstlos oder ein ängstlicher Fehler ist, muss sich jeder Zuschauer selbst beantworten.