Margarethe von Trotta

Hannah Arendt

Hannah Arendt (Barbara Sukowa) im Pressesaal während des Eichmann-Prozesses in Jerusalem. Foto: Heimatfilm
(Kinostart: 10.1.) Begegnung mit der Banalität des Bösen: Die streitbare Philosophin als Beobachterin des Eichmann-Prozesses verkörpert Barbara Sukowa mit umwerfender Präsenz – ein geistesgeschichtlicher Krimi über die Kunst des Denkens.

Aus der Reihe «Unverfilmbare Sujets» heute: Philosophie. Theorien und Systeme mögen die ganze Welt enthalten, doch sie spielen sich in Büchern und Vorträgen ab. Wie soll man Wortkaskaden und lange Argumentations-Ketten mit Bildern anschaulich machen? Selbst wenn es sich um so lebensnahe und kontroverse Ideen handelt wie die von Hannah Arendt?
 

Info

Hannah Arendt

 

Regie: Margarethe von Trotta
113 min., Deutschland/ Frankreich 2012; 
mit: Barbara Sukowa,
Axel Milberg, Janet McTeer

 

Website zum Film

Margarethe von Trotta hat mehrere biopics über Frauen der Tat gedreht: die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin (1981), die Revolutionärin Rosa von Luxemburg (1986) und die mittelalterliche Mystikerin Hildegard von Bingen als Predigerin und Kloster-Gründerin (2009).

 

Flucht ins US-Exil

 

Auch die erste Lebenshälfte von Hannah Arendt (1906-1975) verläuft sehr bewegt: Philosophie-Studium bei Heidegger, Husserl und Jaspers; 1933 kurz in Gestapo-Haft, Ausreise nach Frankreich, Internierung im Lager, Flucht und Emigration in die Vereinigten Staaten. Im US-Exil entsteht ab 1941 ihr bis heute einflussreiches Werk am Schreibtisch, in Seminaren und Vorlesungs-Sälen – Schauplätze mit wenig Schauwert.
 

Für ihr Porträt der berühmten politischen Intellektuellen findet Regisseurin von Trotta einen brillanten Kunstgriff: Der Film konzentriert sich auf Hannah Arendt (Barbara Sukowa) als Berichterstatterin des Eichmann-Prozesses.


Offizieller Filmtrailer


 

Analyse der totalen Herrschaft

 

Ein geistesgeschichtlicher Krimi über das wohl folgenreichste Verfahren des 20. Jahrhunderts: 1960 entführt der israelische Geheimdienst Adolf Eichmann aus Argentinien, um ihn wegen seiner Mitverantwortung für den Völkermord an den Juden in Jerusalem vor Gericht zu stellen. Damit beginnt, was seither Vergangenheits-Aufarbeitung heißt.
 

Neun Jahre zuvor wird Arendt mit ihrem Buch «The Origins of Totalitarianism» (dt. 1955: «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft») bekannt: Ihr Nachweis,
wie sehr sich Nationalsozialismus und Stalinismus ähneln und radikal von anderen Herrschaftsformen unterscheiden, verschafft ihr weltweit Ansehen als Expertin für politischen Vernichtungs-Wahn.

 

Beflissener Bürokrat

 

Für das Magazin «The New Yorker» beobachtet Arendt in Jerusalem drei Monate lang den Prozess-Verlauf. Sie ist konsterniert: Eichmann präsentiert sich als beflissener Bürokrat und Befehlsempfänger – ein papieren daherredender Schreibtischtäter ohne Überzeugungen oder Charisma. Otto Normalverbraucher als Organisator eines Massenmords; dass er seinen militanten Antisemitismus kaschiert, wird erst Jahrzehnte später enthüllt.
 

Um das Erlebte geistig zu verarbeiten, nimmt sich Arendt viel Zeit. Dann schreibt sie eine Artikel-Serie, die 1963 als Buch veröffentlicht wird. Ihre ätzend ironisch gehaltenen Reportagen über den Kontrast zwischen Eichmanns mickriger Erscheinung und seinen monströsen Verbrechen münden in den Befund von der «Banalität des Bösen».
 

Todesdrohungen per Post
 

Was einen Skandal auslöst: Holocaust-Überlebende fühlen sich verhöhnt. Jüdische Organisationen nehmen Arendt übel, wie kühl sie konstatiert, die Judenräte im Dritten Reich und den im Krieg besetzten Gebieten hätten sich kaum den Nazis widersetzt. Ihr unbestechlicher Blick wird angefeindet: Sie erhält Todesdrohungen per Post. Die Uni-Leitung des Brooklyn College legt ihr nahe, die Lehrtätigkeit aufzugeben.
 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau
bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Kritik des Films "Roman Polanski: A Film Memoir" von Laurent Bouzerau über das Leben des polnischen Ghetto-Kindes

 

sowie hier eine Rezension des Films Der deutsche Freund” von Jeanine Meerapfel zur deutschen Vergangenheits-Bewältigung in Argentinien

 

und hier eine Besprechung der aktuellen Ausstellung “R.B. Kitaj (1932 – 2007) Obsessionen” im Jüdischen Museum, Berlin.

Selbst alte Freunde wie Kurt Blumenfeld, führender deutscher Zionist, und der bekannte Moralphilosoph Hans Jonas (Ulrich Noethen) wenden sich von ihr ab. Nur ihr Mann Heinrich Blücher (Axel Milberg) und enge Freundinnen stehen zu ihr. Und doch bleibt Arendt unbeirrt bei ihren Auffassungen, die sie am Ende des Films in einer achtminütigen Rede vor Studenten begründet: eine der längsten und mitreißendsten Ansprachen der Kino-Geschichte.

 

Sukowa par excellence 

 

Eine Glanz-Rolle für Barbara Sukowa: Ihre umwerfende Präsenz trägt den Film. Ob in lautstarken Debatten mit ihrem New Yorker Freundes-Zirkel, im Angesicht des Nazi-Schergen, der mit authentischem Bildarchivmaterial in den Gerichtssaal eingeblendet wird, oder in Momenten der Reflexion, wenn sie regungslos auf der Couch verharrt.
 

Das Abenteuer abstrakten Denkens ohne Rückgriff auf Klischees oder Schielen auf Zustimmung verkörpert Sukowa als konkrete Leidenschaft für Wahrhaftigkeit. Ihr Beharren auf der Verantwortung jedes Einzelnen für die Folgen seines Handelns definiert die geistige Grundlage der Demokratie.
 

Wortlastiges Konversations-Kino war selten so zeitlos spannend: Worüber diese talking heads diskutieren, ist heute so aktuell wie vor 50 Jahren – und die Ausgangs-Hypothese dieser Abhandlung, Philosophie lasse sich nicht verfilmen, überzeugend widerlegt.