Barbara Sukowa

Hart am Gedanken bleiben

Barbara Sukowa. Foto: ohe
In «Hannah Arendt» spielt Barbara Sukowa die Philosophin als Beobachterin des Eichmann-Prozesses. Ein Gespräch über Lachen, das im Hals stecken bleibt, Freude am Lesen von Arendts Werk und die Diskretion einer Kettenraucherin.

Frau Sukowa, Sie sprachen zur Vorbereitung auf ihre Rolle mit Hannah Arendts Sekretärin Ingrid Scheib-Rothbart und ihrer Freundin Lotte Köhler, die im März 2011 gestorben ist. Was haben Ihnen beide erzählt?
 

Ich sprach mit ihnen vor allem über Persönliches; Lotte Köhler schwärmte natürlich von Hannah Arendt. Und beide betonten, dass sie eine sehr gute Freundin und ein warmherziger Mensch war; sie hat vielen Leuten geholfen. Verstandesmenschen wird oft vorgeworfen, kühl zu sein; dass war Arendt offenbar überhaupt nicht.
 

Welche Seite von Hannah Arendt hat sie mehr interessiert: die Philosophin oder die politische Denkerin, die sich intensiv mit dem Judentum beschäftigt?
 

Info

Hannah Arendt

 

Regie: Margarethe von Trotta
113 min., Deutschland/ Frankreich 2012; 
mit: Barbara Sukowa, 
Axel Milberg, Janet McTeer

 

Website zum Film

Der spannendste Punkt war für mich, was auch Hauptthema des Films ist: das Denken – es war für Hannah Arendt zentral in ihrem Leben. Sie war eine unkonventionelle Denkerin, die frisch und neu gedacht hat, wobei sie keine Angst hatte. Für sie gehörte dazu, ihr Denken zur Diskussion zu stellen: vor sich selbst und vor anderen. Weil sie annahm, dass man in Dialog und Auseinandersetzung zur Urteilskraft und Wahrheit kommt.

 

Original leichter als Sekundär-Literatur
 

War Ihnen vor dem Film die Totalitarismus-Theorie von Hannah Arendt geläufig?
 

Nein, aber ich habe zur Vorbereitung ihr Hauptwerk «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft» gelesen und musste feststellen: Das Original ist leichter zu verstehen als die Sekundär-Literatur. Ich fand das Buch unglaublich spannend und habe viel daraus gelernt. Allerdings bin ich Schauspielerin und habe Philosophie nicht studiert; ich könnte keine begründete Gegen-Position beziehen.


Auszüge des Interviews mit Barbara Sukowa


 

Absurd bürokratische Sprache

 

Der Film konzentriert sich auf Hannah Arendt als Beobachterin des Eichmann-Prozesses. Wie erging es Ihnen, als sie ihr Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen“ gelesen haben?
 

Beim Sichten des historischen Filmmaterials über den Eichmann-Prozess ging es mir ähnlich, wie Hannah Arendt es beschrieben hat: etwa, dass sie manchmal lachen musste. Das ist ihr sehr übel genommen worden: Wie könne man lachen, wenn es um solche furchtbaren Verbrechen geht? Aber Eichmann benutzt eine derart bürokratische Sprache und versteckt sich hinter ihr, dass es völlig absurd klingt.
 

Darüber kann man lachen, auch wenn es einem im Halse stecken bleibt. Arendt schreibt in einem ironischen Ton, der ihr ebenfalls vorgeworfen worden ist. Doch sie empfand wohl, dass es für dieses Geschehen keinen adäquaten Gefühlsausdruck gibt; er wäre nur schwammige Sentimentalität

 

Rede ohne Schauspieler-Spirenzchen

 

Kaum etwas ist schwieriger zu verfilmen als eine intellektuelle Debatte, die sich in Hörsälen und Essays abspielt. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet – etwa auf ihren beeindruckenden achtminütigen Vortrag am Ende des Films?
 

Seltsamerweise war diese Rede am einfachsten: Ich musste sie nur durchdenken und verstehen. Dabei half mir die Lektüre des Totalitarismus-Buchs; zusätzlich habe ich mit einem jungen Philosophie-Professor über Sokrates und Platon gesprochen. Diesen geistigen Hintergrund musste ich kennen – und dann die Rede einfach nur halten.
 

Wenn man diese Gedanken selbst verstanden hat und vorträgt, verstehen sie auch andere Leute. Schauspielerische Spirenzchen sind unnötig; man muss einfach nur hart am Gedanken bleiben. Schwierig daran war nur, dass diese Szene am ersten Drehtag gedreht werden sollte – wir haben es dann am zweiten Tag gemacht.

 

Weiterdenken, wenn es wehtut
 

Arendt übte auch Kritik an Israel, was im Film vorkommt: Sie wird vom israelischen Geheimdienst eingeschüchtert. Ist Kritik an der israelischen Politik immer noch so schwierig?
 

Darum geht es in dem Film: Man darf auch weiterdenken, wenn es wehtut, und das aussprechen. Dass man sich damit nicht beliebt macht, steht auf einem anderen Blatt.
 

Haben Sie auch so ein dickes Fell und sprechen immer aus, was Sie denken?
 

Seltener als früher. Damals hatte ich ebenso wie Hannah Arendt wenig Gefühl dafür, dass man damit Leute sehr verletzen kann. Inzwischen bin ich etwas reifer geworden: Wenn es nichts bringt, die Wahrheit zu sagen, posaune ich sie nicht unbedingt hinaus; vor allem, wenn es um persönliche Dinge geht. Früher hatte ich weniger Hemmungen.

 

Viel Zeit für lange Briefe
 

Das Lebensmodell einer Philosophin wie Hannah Arendt erfordert große Disziplin und Distanz zu vielen Dingen – eine fast mönchische Lebensweise. Steht ihnen das nahe?
 

Arendt und ihre Kollegen haben gar nicht so mönchisch gelebt. Ich war fasziniert, wie viel Zeit sie hatten, um ins Theater, Kino oder miteinander essen zu gehen. Hannah Arendt hatte außerdem keine Kinder: Sie nahm sich viel Zeit für persönliche Kommunikation oder lange Briefe.

 

Das ist heute etwas verloren gegangen: Weil alles so schnell gehen muss, wird vieles schlampig und oberflächlich gedacht und gesagt. Daher war es sehr schön, mich intensiv mit Hannah Arendt zu beschäftigen und tage- und wochenlang ihr Werk durchzulesen.

 

Ruhige Blicke im Mittelalter

 

Verglichen mit anderen starken Frauenfiguren wie Rosa Luxemburg und Hildegard von Bingen, die sie in Margarethe von Trottas Filmen gespielt haben: War die Rolle der Hannah Arendt einfacher oder schwieriger?
 

Es war schwieriger, Persönliches über Hannah Arendt herauszufinden. In ihren Briefen musste ich sehr danach suchen, sie war sehr diskret – möglicherweise im Bewusstsein, das könne eines Tages veröffentlicht werden. Rosa Luxemburg schrieb viel mehr über Privates, von ihren Katzen bis zu Unterröcken.
 

Hildegard von Bingen lebte im Mittelalter; damals dachten die Menschen, sie leben auf einer Scheibe, oben ist der Himmel und unten die Hölle. Da musste ich stark daran arbeiten, viele Dinge nicht zu wissen, die uns geläufig sind. In der Rolle der Hildegard habe ich versucht, sehr ruhig zu blicken: Sie lebte in einer Klosterzelle, in der es kaum optische Reize gab.

 

Noch mehr Rauchen als im Film
 

Hannah Arendt war starke Raucherin. Rauchen Sie?
 

Nein. Früher habe ich geraucht, aber damit aufgehört.
 

Fiel es Ihnen schwer, für Ihre Rolle wieder damit anzufangen?
 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Hannah Arendt"

Ich war erstaunt, wie schnell man wieder Lust bekommt, zu rauchen. Nach einer Woche am Set schielte ich schon wieder nach dem Päckchen – aber ich habe keine Zigarette mehr geraucht, als für meine Rolle nötig war. Margarethe von Trotta hat in Israel einen Neffen von Hannah Arendt getroffen, der ihr sagte: Sie hat tatsächlich viel mehr geraucht als im Film.