Ludwigshafen

Schwestern der Revolution – Künstlerinnen der Russischen Avantgarde

Natalja Sergeiewna Gontscharowa: Bühnenbildentwurf „Die Stadt“ von 1926. Foto: wilhelmhack. museum
So viel weibliche Avantgarde-Kunst vom Beginn des 20. Jahrhunderts war nie zuvor in Deutschland zu sehen: Das Wilhelm-Hack-Museum zeigt 112 Werke von zwölf russischen Künstlerinnen – als Rückblick auf eine Revolution der Ästhetik.

Für diese umfassende Retrospektive ist das Wilhelm-Hack-Museum der richtige Ort: Es besitzt neben dem Museum Ludwig in Köln die größte Sammlung russischer Moderne in Deutschland. Hauseigene Bestände vereint Direktor Reinhard Spieler mit zahlreichen Leihgaben – davon 79 Werke aus der Moskauer Tretjakow-Galerie – zu einer pointierten Schau weiblicher Kunstproduktion von 1907 bis 1934.

Info

Schwestern der Revolution –
Künstlerinnen der Russischen Avantgarde
 

20.10.2012 - 17.02.2013
dienstags bis freitags
11-18 Uhr , donnerstags
bis 20 Uhr sowie am Wochenende 10-18 Uhr 
im Wilhelm-Hack-Museum,
Berliner Straße 23, 
Ludwigshafen am Rhein
 

Katalog 29 € 

 

Weitere Informationen

Ähnliches hatte 1999 das Deutsche Guggenheim Berlin unter dem Titel «Amazonen der Avantgarde» unternommen, doch dieses Projekt war bescheidener angelegt: Dort waren nur sechs Künstlerinnen zu sehen.

 

West-Avantgarden weiterentwickelt

 

Lag in Berlin der Akzent noch auf der künstlerischen Emanzipation von Frauen, so behauptet in Ludwigshafen nun zumindest der Titel «Schwestern der Revolution» auch einen wesentlichen Beitrag zur politischen Entwicklung der Zeit. Insgesamt 112 Werke zeigen, wie die männlich dominierte westliche Avantgarde-Kunst aus Paris von Frauen in Petersburg und Moskau aufgegriffen und eigenständig weiterentwickelt wurde. Über den politischen Aspekt gibt vor allem der Katalog Auskunft.


Interviews mit Direktor Reinhard Spieler und Kuratorin Nina Gülicher + Impressionen der Ausstellung


 

Teuerste Künstlerin weltweit
 

Im ersten Raum ist die Politik der Zeit noch fern. Da hängt ein «Stillleben mit Blumenstrauß» neben «Kartoffeln erntenden Bäuerinnen», gefolgt von einer «Gottesmutter mit Ornamenten»: frühe Arbeiten von Natalja Gontscharowa (1881-1962), die ihre Werke schon 1906 in Paris ausgestellt hatte. 2007 erzielte ein Bild von ihr bei Christie’s 4,9 Millionen Pfund; das machte sie zur teuersten Künstlerin weltweit. Das Hack-Museum zeigt nun mit 45 Exponaten ihren künstlerischen Weg von 1907 bis 1928.

 

Der offenbart zunächst Reflexe ihrer intensiven Auseinandersetzung mit der Kunst-Entwicklung in Frankreich: Ihre «Badenden» von 1910 zitieren im Sujet den Impressionismus und lassen in der Ausführung Fauvismus und russische Volkskunst anklingen. Doch 1913 erklärte Gontscharowa ihre künstlerische Orientierung am Westen für beendet: «Mein Weg verläuft zur Quelle aller Kunst, dem Osten».
 

Bildungs-Revolution im Zarismus

 

1917 emigrierte sie nach Paris, blieb aber als Bühnen- und Kostümbildnerin für die «Ballets russes» der russischen Volkskunst verbunden. In der Ausstellung gibt es dazu Kostümentwürfe und einen Bühnenbild-Entwurf für das Ballett «Der Feuervogel» von Igor Strawinsky.

 

Schon mit dieser Auswahl zeigt das Museum, wie die Avantgarde vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur die figürliche Ästhetik in Frage stellte, sondern auch die im 19. Jahrhundert etablierte Trennung in «angewandte» und «freie» Kunstausübung. Dass dieser Prozess in Russland wesentlich von Frauen vorangetrieben wurde, verdankt sich einer bürgerlichen Revolution im Zarismus: Ab 1871 hatten wohlhabende Frauen Zugang zu höheren Bildungs-Einrichtungen – und damit auch zu den Kunstakademien. In Deutschland mussten Frauen darauf noch bis 1919 warten!
 

Noch weiter in den Alltag reichte die künstlerische Arbeit von Warwara Stepanowa (1894- 1958). Im Unterschied zu den meisten ihrer Künstler-Kolleginnen stammte sie nicht aus einer großbürgerlichen Familie, die ihr ein Kunststudium einschließlich Reisen nach Paris hätte finanzieren können. Bereits während ihrer Ausbildung arbeitete sie nebenher als Buchhalterin und Näherin.