Musik vom Balkan erfreut sich großer Beliebtheit: Mit Technobeats unterlegt, ist sie zum Synonym für energetische, blechblasbefeuerte Party-Musik geworden. Die Doku von Regisseur Stefan Schwietert führt zurück in eine Zeit, als in Westeuropa diese Musik hinter dem «Eisernen Vorhang» noch nahezu unbekannt war.
Info
Balkan Melodie
Regie: Stefan Schwietert
92 min., Deutschland/ Bulgarien/Schweiz 2011;
mit: Marcel + Catherine Cellier, Gheorghe Zamfir,
Le Mystère des Voix Bulgares
5000 Tonband-Aufnahmen
Von seinen Reisen brachte Marcel Cellier einen wahren Schatz mit, der auf 5000 Tonbändern gespeichert ist. Seine Aufnahmen von traditioneller, ländlicher Musik und Roma-Melodien machte er mit Radiosendungen dem Publikum im Westen bekannt. 1968 «entdeckte» er den rumänischen Panflöten-Virtuosen Gheorghe Zamfir, wurde dessen Manager und produzierte seine erste Schallplatte. Sie verkaufte sich eineinhalb Millionen mal.
Offizieller Filmtrailer
Zwischen Idealismus und Ausbeutung
Auf der ersten Station der Film-Reise Richtung Osten begegnen wir Zamfir in Bukarest. Der einstige Plattenmillionär, dessen Panflöte Soundtracks von Filmen wie «Es war einmal in Amerika» oder «Kill Bill» veredelte, ist heute Musiklehrer – unnachgiebig und unermüdlich vermittelt er seine reine Lehre. Auf die Celliers ist er nicht mehr gut zu sprechen.
«Zamfir wurde gierig», bedauert Cellier im Film und rechnet vor, dass er selbst von seinem 40-prozentigen Gewinn-Anteil die Produktionskosten bezahlen musste. Wobei er als Vizepräsident einer Bergbau-Gesellschaft finanziell unabhängig war. Die Episode wirft ein Licht auf ein Dauerproblem westlicher Produzenten, die musikalische Schätze in anderen Weltregionen heben: Wo verläuft die Grenze zwischen Idealismus und Ausbeutung?
Volksmusik-Verstaatlichung
Fakt ist: Wenn von nun an Celliers Name auf einem Platten-Label stand, hatte das Gewicht – und das Paar war längst nicht am Ende seiner Reise. Auf deren Spuren schlägt der Film ein angenehm gemessenes Tempo an. Jede Station wird musikalisch eingeleitet, dann folgt ein Porträt der Musiker in ihrem heutigen Umfeld mit Rekurs auf die Zeit, bevor die Celliers ins Spiel kamen.
Wo sie auftauchten, kam es zur Begegnung zweier Systeme: Die Reisenden aus dem kapitalistischen Ausland trafen auf ein für sie unverständliches Dasein im Kommunismus. Für die damalige «Verstaatlichung» ihrer Volksmusik liefern drei Musiker in der rumänischen Region Maramuresch einen Beleg.
TV-Chor aus Bulgarien
Der Staat kollektivierte nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Volksmusik: Der traditionelle Volkstanz «Hora», der vorher Privatfeiern bis in die frühen Morgenstunden animierte, sollte nun in der Mehrzweckhalle als Formations-Tanz von 50 identisch gekleideten Akteuren stattfinden.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Das Lied des Lebens” von Irene Langemann, ein berührendes Porträt des Komponisten Bernhard König
und hier eine Besprechung des Films “Flamenco, Flamenco” - facettenreiche Doku von Carlos Saura mit dem Gitarristen Paco de Lucía
und hier eine kultiversum-Empfehlung zum Film “Passione!" von John Tuturro über das Musikleben in Neapel.
Internationaler Markt
Dank seines hervorragenden Rufes hat der Chor das Ende des Kommunismus überlebt – im Gegensatz zu vielen anderen Institutionen, die das Volksmusik-Erbe in Osteuropa erhielten und Musikern ein Auskommen boten. Mit Nostalgie blickt Aurelio Ionita, Chef der rumänischen Gypsy-Pop-Band «Mahala Rai Banda», auf die 1980er Jahre zurück: Heute muss ein Musiker als Unternehmer sein Produkt auf dem internationalen Markt positionieren.
So konfrontiert der Film auf ruhige Weise ohne Erklärungen aus dem Off mit guten Fragen: Was ist «ursprünglich», was «authentisch»? War früher alles besser oder eher schlechter? Und ist Musik nicht eine Kunstform, die sich aus diesen Widersprüchen immer neu erfinden kann?