(Kinostart: 7.3.) Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Pascal Mercier als Euro-Großproduktion: Der dänische Regisseur Bille August jagt ein internationales Star-Ensemble durch die Handlung, doch vom Flair des Romans bleibt wenig übrig.
2004 veröffentlichte der schweizerische Philosophie-Professors Pascal Mercier seinen Roman «Nachtzug nach Lissabon». Er wurde im deutschsprachigen Raum zwei Millionen Mal verkauft und in 15 Sprachen übersetzt – eine geradezu perfekte Drehbuch-Vorlage.
Regie: Bille August
110 min., Deutschland/
Schweiz/Portugal 2013;
mit: Jeremy Irons, Lena Olin, Charlotte Rampling, August Diehl u. a.
Raimund Gregorius (Jeremy Irons) wohnt in Bern; der Lehrer für Latein und Griechisch ist ein Gewohnheitsmensch. Er lebt allein; in seinen schlaflosen Nächten spielt er Schach gegen sich selbst, flüchtet sich in die Welt der Literatur und seiner geliebten, toten Sprachen.
Jeden Morgen nimmt er pflichtbewusst seine Aktentasche und den immer gleichen Weg zu seiner Schule. Eines Tages reißt ihn eine junge Frau in einem roten Mantel, die sich von einer Brücke stürzen will, jäh aus Routine und Erstarrung: Gregorius rettet die junge Portugiesin und nimmt sie in seinen Unterricht mit.
Doch sie läuft davon. Zurück bleibt nur ihr roter Mantel, in dessen Tasche er ein Buch des Schriftstellers und Arztes Amadeu de Prado und ein Zugticket nach Lissabon findet. Das Buch zieht Gregorius in seinen Bann.
Ihm scheint, als seien seine Zeilen nur für ihn geschrieben worden. Plötzlich ist die Welt des langweiligen Lehrers aus den Fugen geraten, und er kann nicht mehr zurück: Einem Impuls folgend, nutzt er die Fahrkarte und springt in den Nachtzug nach Lissabon.
Nun beginnt eine aufregende Reise: Am Ziel angekommen, will Gregorius den Autor des Buches finden. Damit stößt er unversehens auf Portugals dunkle Vergangenheit: die Zeit der Militärdiktatur bis 1975 und der Widerstandsbewegung gegen sie, von der einstige Weggefährten des verstorbenen Autors berichten.
Ganz nebenbei reist der schweizerische Pädagoge zu sich selbst; er stellt sich seinen verschütteten Gefühlen und Sehnsüchten. Dabei lernt er viele Menschen kennen; dank breit gefächerter Euro-Fördermittel wurden sie mit einer illustren Schauspieler-Schar besetzt.
Martina Gedeck vermittelt ihm als Augenärztin Mariana den entscheidenden Kontakt zu Amadeus´ Vergangenheit. Als junge und alte Version seines Jugendfreundes Jorge treten August Diehl und Bruno Ganz auf. Die Rolle seiner großen Liebe Estefania teilen sich Lena Olin und Mélanie Laurent. Zudem sind noch Charlotte Rampling und Burghart Klaußner mit von der Partie.
Leider verhilft dieses Aufgebot an internationalen Stars dem Film nicht zu mehr Dichte, sondern verwässert das Flair der spezifisch portugiesischen Geschichte – das übliche Problem eines Euro-Puddings. So bleibt der Film farblos und seltsam steril, auch wenn Musik und getragene Off-Kommentare Emotionalität und Tiefe vermitteln sollen.
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bei Film-Zeit.
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So bleibt von allem nur eine Behauptung: etwas Thriller und ein wenig Liebesdrama mit Geschichts-Unterricht vor exotischer Kulisse, alles mit ein paar philosophischen Sentenzen aus dem Off garniert. Schade, dass die Formulierungs-Kunst von Pascal Merciers zu Kalender-Sprüchen verkommt.
Damit geht die Leichtigkeit verloren, mit der im Buch der Zufall mitspielen darf, um ein Leben zu verändern. Was die Stärken des Romans ausmacht – Fremdheit, Begeisterung und Offenheit für eine andere Sprache und Kultur – sollte sich eigentlich auch in dieser Euro-Großproduktion wiederfinden.
Von Lydia Starkulla, veröffentlicht am 06.03.2013
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