Sebastian Koch + Katja Riemann

Das Wochenende

Jens Kessler (Sebastian Koch) und Inga Lansky (Katja Riemann) sprechen über die Vergangenheit. Foto: Universum Film
(Kinostart: 11.4.) Politische Familienaufstellung: Nach 18 Jahren Haft trifft ein RAF-Mitglied auf alte Freunde und Verwandte. Ihre allseitige Unsicherheit lotet das subtile Kammerspiel von Regisseurin Nina Grosse hervorragend aus.

Filme über den Linksterrorismus der 1970/80er Jahre sind ein speziell deutsches Politkrimi-Genre. Ob als Historien-Epos der Bewegung («Der Baader Meinhof Komplex»), Biopic ihrer Anführer («Baader», «Die bleierne Zeit»), road movie einer endlosen Flucht vor der Justiz («Die innere Sicherheit») oder Chronik des Überwinterns in der DDR («Die Stille nach dem Schuss»): RAF-Überzeugungstäter faszinieren kaum weniger als Nazi-Schurken.

 

Info

Das Wochenende

 

Regie: Nina Grosse,

98 Min., Deutschland 2012;

mit: Sebastian Koch, Katja Riemann, Barbara Auer und Tobias Moretti

 

Website zum Film

Vermutlich, weil der «deutsche Herbst» so fern gerückt ist: Keine Haltung scheint unserer Zeit abwegiger als zu allem entschlossenes Revoluzzertum. Die Terroristen hatten eine Mission; sie wollten die Befreiung der Menschheit herbeibomben. Vermessene Ziele und heißblütige Tatkraft: In RAF-Filmen blickt die Bundesrepublik auf ihre Sturm-und-Drang-Zeit zurück – wie die USA in Western.

 

Terror-Vergangenheit im Heute

 

«Das Wochenende» ist völlig anders. Regisseurin Nina Grosse, die den gleichnamigen Roman von Bernhard Schlink verfilmt, versetzt die Terror-Vergangenheit ins Heute. In Gestalt von Jens Kessler (Sebastian Koch), der nach 18 Jahren aus der Haft entlassen wird. Seine Schwester Tina (Barbara Auer) holt ihn fürsorglich ab – und fürchtet zugleich die Wiederbegegnung.


Offizieller Film-Trailer


 

Zwei Jahrzehnte nur aus Zeitung + TV

 

Deshalb hat sie auf ihr Landhaus in Brandenburg alte Freunde eingeladen. Henner (Sylvester Groth) war Jens´ Gesinnungsgenosse; er stieg aus der linksradikalen Szene aus, als sie gewalttätig wurde. Mit Inga (Katja Riemann) hat Jens einen gemeinsamen Sohn, um den er sich nie kümmerte. Seine Freilassung hat die erfolgreiche Literaturagentin kalt erwischt; sie ist nur gekommen, weil ihr Gatte Ulrich (Tobias Moretti), ein Geschäftsmann, darauf drängte.

 

Jens tritt verhalten auf; die letzten zwei Jahrzehnte kennt er nur aus Zeitung und Fernsehen. Doch seinen Überzeugungen hat er nicht abgeschworen. Eine Frage interessiert ihn brennend: Wer hat ihn einst verraten und an die Polizei ausgeliefert?

 

Sohn will mit Erzeuger abrechnen

 

Für dieses Kammerspiel ist Tinas Wohnsitz in der Pampa ein idealer Schauplatz: In seinen Räumen, im weitläufigen Garten oder Wald treffen die Personen in wechselnden Kombinationen zusammen – und enthüllen redend allmählich, was sie miteinander verbindet und voneinander trennt.

 

Kinder verkomplizieren die Konstellation. Die Tochter von Inga und Ulrich taucht überraschend auf, um ihren sagenumwobenen Stiefvater kennen zu lernen. Und sie ruft ihren Halbbruder herbei, der mit seinem Erzeuger abrechnen will. Die Konfrontation mit ihm verstört Jens; zugleich kitzelt sie seinen Sündenstolz hervor: «An mich wird man sich erinnern, an Dich nicht».

 

Porträt des Terroristen als gealtertem Mann

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Policeman - Ha-Shoter" von Nadav Lapid über israelische Terroristen 

 

und hier eine Kritik des Films "Kriegerin" - ein beeindruckender Einblick in die Neonazi-Szene von David Wnendt

 

und hier ein Bericht über die Ausstellung "Freibeuter der Utopie" zur "Die Kunst der Weltverbesserung" in der Weserburg, Museum für moderne Kunst, Bremen.

Eine «politische Familienaufstellung» nennt Regisseurin Grosse treffend ihren Film. So präzise wie unangestrengt verquickt er Privates mit Weltanschaulichem und führt vor, wie beides einander durchdringt. Mit hervorragenden Schauspielern: Sebastian Koch, sonst eher auf Lichtgestalten abonniert, verkörpert den sich krampfhaft am Gestern festhaltenden Ex-Sträfling ebenso glaubwürdig wie Katja Riemann seine Ex-Liebe, die ihre Gefühle völlig verdrängt hat.

 

An diesem «Wochenende» kommen Denken und Handeln einer utopiesüchtigen Bewegung in der entideologisierten Gegenwart an: weder krachend scheiternd noch geläutert eifernd, sondern zögernd tastend – teils störrisch, teils resigniert. Was die ernüchterten Altersgenossen ratlos macht, wie sie mit diesem Relikt ihrer eigenen Geschichte umgehen sollen.

 

Ein RAF-Film auf der Höhe der Zeit: Keine Rückschau, sondern eine subtile Studie, wie die Biographie eines in die Irre Gegangenen ans Hier und Jetzt anknüpfen kann – das Porträt des Terroristen als gealtertem Mann.