
«Eine Dame in Paris» ist wirklich eine Augenweide: Die 85-jährige Jeanne Moreau verkörpert Madame mit soviel Eleganz und Tiefe, dass man sich ehrfürchtig verbeugen möchte! Der estnische Regisseur Ilmar Raag erzählt eine Geschichte über das Alter, die Liebe – und was von der Liebe im Alter übrig bleibt.
Eine Dame in Paris Regie: Ilmar Raag, Info
94 Min., Frankreich / Estland/ Belgien 2012
mit: Jeanne Moreau, Laine Mägi und Patrick Pineau
Geliebter engagiert Pflegerin
Anne (Laine Mägi) lebt in Estland, ist Mitte 50 und geschieden; sie pflegt ihre kranke Mutter in einer tristen Wohnung. Nach deren Tod nimmt sie einen Job in Paris an: Sie soll für Frida sorgen, eine ältere estnische Dame (Jeanne Moreau), die nicht mehr alleine zu recht kommt. Engagiert wird sie von Stéphane (Patrick Pineau), dem wesentlich jüngeren, früheren Geliebten der eigenwilligen Dame.
Offizieller Filmtrailer
Sinnlichkeit, Eleganz + Reichtum
Frida hat ein selbstbestimmtes, freies Leben hinter sich und beeindruckt Anne nicht nur mit ihrer Sinnlichkeit, sondern auch mit ihrer Eleganz und ihrem Reichtum. In den Augen von Anne verkörpert Frida genau das Leben, welches sie sich selbst immer gewünscht hatte.
Das einzige Problem ist: Frida lebt nur für die Aufmerksamkeit von Stéphane und will Anne nicht in ihrer Umgebung akzeptieren. Stéphane ist allerdings mit Fridas Ansprüchen und ihrer Eifersucht überfordert. Er hätte gerne, dass ihm Anne die Last der Verantwortung abnimmt.
Lebensfreude mit Frühstücks-Croissant
Diese wiederum erträgt die Launen der alten Dame mit Engelsgeduld; so groß ist die Faszination der neuen Umgebung und der aufkommenden Freiheit, die sie plötzlich verspürt. Dann ist da noch eine gewisse Anziehung zwischen Anne und Stéphane, was die Lage nicht unbedingt vereinfacht.
Langsam werden die beiden Frauen miteinander vertraut; zwei so versierten Schauspielerinnen dabei zuzusehen, ist herrlich. Wenn Anne endlich das richtige Frühstück serviert und Frida durch den Genuss eines frischen Croissants wieder etwas Lebensfreude verspürt, bezaubert der Film mit diesen kleinen Alltags-Beobachtungen.
Wie in Kaurismäki-Filmen
Jeanne Moreau spielt die enttäuschte und einsame Frida mit viel Verständnis und Plausibilität. Zwischendurch lässt sie eine verschmitzte Sinnlichkeit durchblitzen, die ihr freizügiges Leben in jungen Jahren erahnen lässt. Laine Mägi reduziert ihre Gesten und Mimik so kontrolliert, dass die Herkunft ihrer Figur stets spürbar bleibt; man freut sich, wie sie allmählich auftaut.
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Late Bloomers": romantische Beziehungs-Komödie von Julie Gavras mit Isabella Rossellini und hier eine Bericht zum Film "Und wenn wir alle zusammenziehen?": charmante Rentner-Komödie von Stéphane Robelin mit Jane Fonda und hier einen Beitrag zum Film "Le Havre": surreale Flüchtlings-Tragikomödie von Aki Kaurismäki mit Kati Outinen.Hintergrund
Mama in Paris als Vorbild
Die Figuren Frida, Anne und Stéphane veranschaulichen drei Facetten zum Thema Verantwortung, Altern und Pflichtgefühl. Alle drei müssen herausfinden, inwieweit sich eigene Wünsche mit moralischen und persönlichen Ansprüchen vereinbaren lassen. Und sie müssen lernen, Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen und die Folgen zu tragen, auch wenn sie diese vielleicht bereuen.
Erfahrungen seiner Mutter brachten Regisseur Raag auf die Idee zu diesem Film: Sie emigrierte aus Estland nach Paris und kam später als komplett veränderte Frau zurück. Frankreichs Hauptstadt als Sehnsuchts-Ort fasziniert den Regisseur schon lange: Er hat selbst in Paris studiert. Sein Film ist vermutlich nicht der aufregendste dieser Saison, aber in seiner ruhigen Achtung vor Lebenserfahrung und Alter sehr sehenswert.