Evelyn Schels

Georg Baselitz

Georg Baselitz beim Aufbau zweier Skulpturen. Foto: Alamode Filmdistribution
(Kinostart: 11.4.) Zuhause beim Ehepaar Baselitz: Regisseurin Evelyn Schels hängt an den Lippen des Malerfürsten und lauscht seinen Erinnerungen. Ihre Doku beobachtet ihn ausgiebig im Atelier; eine Hommage als unkritische Home Story.

Der Film blickt zurück: in eine Zeit, als die Mauer noch stand. Als Künstler noch richtige Kerle waren und ihr Material Öl, Schweiß und Testosteron. Als Maler noch Fürsten waren, gefürchtet und geliebt. Denn sie waren zügellos, unangepasst und aggressiv. Einer von ihnen war Georg Baselitz. Und sein Fürstentum verteidigt er; zur Not mit der Kettensäge.

 

Info

 

Georg Baselitz

 

Regie: Evelyn Schels

105 Min., Deutschland 2013;

 

Website zum Film

 

«Ein aufmerksames, sehr privates und differenziertes Portrait über den Jahrhundertkünstler», heißt es im PR-Material des Films von Regisseurin Evelyn Schels; sie drehte schon Porträts über Per Kirkeby, Tinguely oder Modigliani für den Bayrischen Rundfunk. Ihr Film über Baselitz ist vor allem sehr konservativ geworden; vielleicht, weil ihn wieder der BR produzierte.

 

Wie eine naive Kunststudentin

 

Aufmerksam ist Schels tatsächlich, wenn sie an Baselitz‘ Lippen hängt wie eine naive Kunststudentin. Sie folgt brav dem Künstler und seiner Ehefrau Elke in ihre Wohnsitze und Ateliers am Ammersee und in Ligurien. Differenzen kommen allenfalls in Interviews mit verschiedenen Galeristen des Künstlers auf, darunter Michael Werner und Benjamin Katz.

Offizieller Filmtrailer


 

Kamera kniet, wenn der Künstler kniet

 

«Ein Künstler, der die Kunstwelt auf den Kopf stellte und sich auch mit 75 Jahren immer wieder neu erfindet», behauptet weiter das PR-Material. Doch der Frage, worin diese stetige Neuerfindung liege, geht der Film nicht nach. Stattdessen sammelt er affirmative Grußbotschaften ein, etwa vom Galeristen Thaddaeus Ropac: Baselitz gehört zu seinen Klienten.

 

Der Film will lieber home story sein als kritische Würdigung; er zeigt ausgiebig, wie Baselitz arbeitet. Die Kamera von Christian Meckel kniet, wenn der Künstler kniet, und saugt begierig auf, was da geschieht zwischen Baselitz und seinem Bild. Er spachtelt, er tupft, er kleckert.

 

Virtuosität des Unvirtuosen

 

Immer wieder steht er auf, hockt sich nieder, entfernt sich, beugt sich herunter. Die Kameraführung gibt Baselitz den nötigen Raum, um seine Künstler-Pose zu entfalten. Als vorgeblicher Dilettant, der sich gegen seine Virtuosität stemmt, weil er wild und disharmonisch sein will. Doch die Harmonie breche immer wieder durch, erklärt er kokett.

 

Als Zuschauer erfährt man immerhin, dass in dieser entschlossen unentschlossenen Ambition ein Kalkül liegt: Über Jahrzehnte hat sich Baselitz eine Technik des vermeintlich Zufälligen und Direkten angeeignet, die er bis zur Perfektion beherrscht. Seine Virtuosität liegt darin, den Unvirtuosen zu spielen.

 

Durch dritten Ranking-Platz gekränkt

 

In dieser Pose bleibt er unübertroffen. Baselitz ist in seiner Eitelkeit tief gekränkt, wenn in Kunst-Rankings des «Manager-Magazins» oder von «Capital» sein Name nur auf dem dritten Platz auftaucht; vor ihm ein Amerikaner und ein Kölner. Über diesen Jemand aus Köln hatte Corinna Belz 2011 die überraschend erfolgreiche Doku «Gerhard Richter Painting» gedreht; wohl ein Anstoß, auch Baselitz auf ähnliche Weise ins Kino zu bringen.

 

Anstatt kritischer an Baselitz heranzutreten, lauscht ihm Regisseurin Schels bei nostalgischen Erinnerungen an seine Jugend. «Ich war ein renitentes Kind», bekennt er, als folge seine Künstlerwerdung quasi zwangsläufig aus seiner Kindheit als Sohn eines Nazi-Lehrers der Gemeinde Deutschbaselitz in der Oberlausitz. Er heiratete früh und zog bald nach Berlin.

 

Künstler-Freundschaft mit Schönebeck ignoriert

 

Sein Künstlerkumpel Eugen Schönebeck legte ihm nahe, die Renitenz künstlerisch zu verarbeiten. Beide schworen sich ewige Erfolglosigkeit – doch als Schönebeck ohne Baselitz‘ Erlaubnis eine Ausstellung hatte, zerbrach die Freundschaft. Über den Verlauf ihrer Entfremdung fehlt leider eine weitere Recherche.

 

Denn im Gegensatz zu Baselitz ist Schönebeck, der sich aus der Kunstszene zurückzog, weitgehend vergessen. Erst zwei Ausstellungen in der Frankfurter Schirn 2011 und in einer Berliner Galerie 2012 machten wieder auf ihn aufmerksam. Doch Schels‘ Film ergeht sich in Geschichtsklitterung: Baselitz‘ Einschätzungen werden keine anderen Stimmen entgegen gestellt.

 

«Ich wollte Schweinerei machen!»

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

           

und hier ein Bericht zur Ausstellung "Baselitz: Berliner Jahre" in der Villa Schöningen, Potsdam

 

und hier eine Besprechung das Ausstellung "Übermalt. Verwischt.Ausgelöscht: Das Porträt im 20. Jahrhundert" mit Werken von Baselitz in der Hamburger Kunsthalle

 

und hier eine Rezension des Dokumentarfilms "Gerhard Richter Painting" von Corinna Belz.

 

Ein Skandal, von dem sich der Künstler heute lieber distanziert, machte ihn 1963 mit einem Schlag berühmt: «Große Nacht im Eimer», die Darstellung eines onanierenden Jungen, erregte die spießige West-Berliner Gesellschaft. «Ich wollte Schweinerei machen! Und Schweinerei fing an bei der Farbe. Also Saufarbe, Schmutz, Dreck», sagt er.

 

Im Umgang mit Farbe entwickelte Baselitz künstlerische Meisterschaft; angeregt vom Abstrakten Expressionismus und sublimen, großformatigen Farbexperimenten seiner US-Kollegen. Seine wohl größte Leistung ist die Übersetzung dieser Rohheit in Skulpturen: Baselitz traktiert Baumstämme mit Beilen und Motorsägen. Das macht er bis heute, bis zur körperlichen Erschöpfung.

 

Holz in Bronze gießen

 

Doch warum auch sein Alterswerk bis heute neu und innovativ sein soll, darauf bleibt der Film eine Antwort schuldig. Stattdessen zeigt er, wie selbstverliebt Baselitz durch seine Ausstellungen wandelt oder wie er Holzskulpturen in Bronze gießen lässt. Das nimmt ihnen die Impulsivität der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Material, die seine künstlerische Stärke ist.

 

Regisseurin Evelyn Schels war wahrscheinlich zu nahe dran an Baselitz. So ist ihr Film zwar ein Monument geworden, aber kein Denkmal.