Es ist das uralte amerikanische Film-Rezept: boy meets girl, aber dann schlägt das Schicksal zu. In «The Broken Circle» verhält es sich ebenso – und doch etwas anders. Erstens spielt der Film auf dem flachen belgischen Land. Zweitens ist der boy ein zotteliger, Banjo spielender Ex-Punk, der sich im Wohnwagen neben seinem geerbten Landhaus gemütlich eingerichtet hat.
Info
The Broken Circle
Regie: Felix van Groeningen, 112Min., Belgien/Niederlande 2012;
mit: Veerle Baetens, Johan Heldenbergh, Nell Cattrysse
Janusköpfiges Amerika
Doch das Amerika, von dem Didier (Johan Heldenbergh) träumt, ist auch das Amerika, das für die Attacke des 11. September 2001 blutige Rache nimmt. Auch sonst muss Didier seine Sicht auf die Dinge immer wieder revidieren. Offizieller Filmtrailer
Zu Gast bei fröhlichen Rand-Existenzen
Als Elsie (Veerle Baetens) schwanger wird, schluckt er die zunächst bitter schmeckende Pille und beginnt mit der Restaurierung des Landhauses. Als das gemeinsame Kind schwer krank wird, will er für sich und seine Familie stark sein. Dabei er stößt an die Grenzen dessen, was die Liebe leisten kann, und an Bereiche von Elsies Herzen, die ihm versperrt bleiben.
In «Die Beschissenheit der Dinge» erzählte Regisseur Felix van Groeningen eine Vater-Sohn-Geschichte inmitten einer alt, aber kaum erwachsen gewordenen Sub- und Saufkultur. In «The Broken Circle» nimmt er die Zuschauer wieder mit in eine Gesellschaft fröhlicher Rand-Existenzen.
Kriegserklärung des Lebens annehmen
In sie kann man sich ebenso schnell verlieben wie die Protagonisten ineinander. Als gegenkulturelles Pendant zum thematisch verwandten, aber bürgerlichen Film «Das Leben gehört uns – La Guerre est declarée» von Valérie Donzelli (2011) müssen sie die Kriegserklärung des Lebens an- und den Kampf gegen den Tod des geliebten Kindes aufnehmen.
Für die Umsetzung des gleichnamigen Theaterstücks aus der Feder von Hauptdarsteller Heldenbergh wählte Regisseur van Groeningen eine diskontinuierliche Erzählform: Sein Film wechselt munter zwischen den Zeitebenen; das verwirrt zunächst etwas. Doch subtile Hinweise durch Licht, Ausstattung und Make-up geben genug Orientierungshilfen, um sich zwischen Vorher und Nachher zurechtzufinden – und gleichzeitig Zusammenhänge herzustellen, die uns noch tiefer in die Emotionalität der kleinen Familie hineinziehen.
Ersatzfamilie Bluegrass-Ensemble
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit Lesen Sie hier ein Interview mit Regisseur Felix van Groeningen + Hauptdarsteller Johan Heldenbergh und hier eine Rezension des Films "Der Geschmack von Rost und Knochen" von Jacques Audiard - Melodram über die Liebe eines Ex-Boxers zu einer Rollstuhlfahrerin und hier eine Besprechung des Films "Der Junge mit dem Fahrrad" von Jean-Pierre + Luc Dardenne - präzise Milieu-Studie über einen elternlosen belgischen Jungen und hier ein Bericht über den Film "Bullhead" von Michaël R. Roskam - spannender Krimi über die Hormon-Mafia in Belgien.Hintergrund
Man muss nur die kleinen Blicke und Bewegungen der Protagonisten auf der Bühne deuten, um zu wissen, wie es gerade in ihnen aussieht. Die unironischen, gnadenlos unmodernen, aber eben auch zeitlos berührenden Bluegrass-Songs kommentieren die Erzählung auf ihre Weise. Sie reden von Gott, der Liebe, der Weite des Landes und der Freiheit der Menschen, von materieller Armut und dem Reichtum der Freundschaft.
Leben mit Bluegrass-Songs ertragen
Das Leben besteht nicht aus Bluegrass-Songs, aber es lässt sich durch sie etwas leichter ertragen. Diese Erkenntnis steht am Ende eines berührend tragikomischen Films, der kein Wort zu viel verliert. Er verdankt seinen durchschlagenden Erfolg in Belgien und auf der Berlinale, wo er den Panorama-Publikumspreis erhielt, auch zwei wunderbaren Hauptdarstellern.
Heldenbergh und Baetens verleihen ihren Figuren nuancenreich mit Haut und Haaren Wahrhaftigkeit. Wem der Abschied von ihnen das Herz bricht, der bekommt die Chance auf ein Wiedersehen: Im Windschatten des Films geht die Broken Circle Band auf ausgedehnte Europa-Tournee.