Kassel

Jordaens und die Antike

Jacques Jordaens: Allegorie der Fruchtbarkeit, um 1623-25. Öl auf Leinwand, 180 x 241 cm, Brüssel, Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique, Inv. 119. Foto: Johan Geleyns, Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique/Quelle:Museum Fridericianum, Kassel
Die erste deutsche Jordaens-Retrospektive: Neben Genre-Szenen schuf der Barock-Maler auch originelle Variationen antiker Themen. Seine virtuose Überwältigungs-Malerei ist nun im Fridericianum zu sehen – mit drei zeitgenössischen Nachfolgern.

Hier geht es drunter und drüber. Massige Leiber drängen und quetschen sich, greifen, halten oder stemmen einander. Wilde Gesellen mit Bockshörnern und Klumpfüßen lassen ihr welkes Fleisch quellen. Üppige Matronen mit wogendem Busen, drallen Schenkeln und Speckröllchen zeigen ihre Blöße schamlos vor – eine Pin-up-Parade wie am FKK-Strand.

 

Info

Jordaens und die Antike

 

01.03.2013 - 23.06.2013

täglich außer montags 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr

im Museum Fridericianum, Friedrichsplatz 18, Kassel

 

Katalog 39 €

 

Weitere Informationen

Bekleidet wird dieses Personal kaum manierlicher. Es lässt die Weinkrüge kreisen, leert unzählige Gläser und gibt den Trank gleich wieder von sich. Da wird unablässig gelacht, gejohlt und getanzt, als sei die Welt ein ewiges Fest. Wo keine ausgelassene Runde tafelt, füllen Haustiere, Blumen oder Früchte den Raum aus – als dürfe kein Fleck frei bleiben.

 

Jacob oder Jacques

 

So sehen viele Werke des flämischen Künstlers Jordaens (1593 – 1678) aus. Die Kunstgeschichte kennt ihn unter dem Vornamen Jacob, doch er unterschrieb seine Briefe mit Jacques. Neben Rubens und Anton van Dyck zählt er zu den drei großen Barock-Malern von Antwerpen, steht aber ein wenig im Schatten der beiden anderen.


Impressionen der Ausstellung; © Mythos Olympia


 

Rubens + Van Dyck ebenbürtig

 

Während Rubens Höfe in ganz Europa belieferte und van Dyck in London als Porträtist der englischen Krone Karriere machte, belieferte Jordaens scheinbar nur bürgerliche Käufer mit lebensprallen Genre-Szenen. Das folgerte man aus Bildtiteln wie «Der König trinkt» oder «Wie die Alten sungen, so zwitschern nun die Jungen» – beides malte er in mehreren Varianten.

 

Womit er unterschätzt wird. Anders als Rubens konnte Jordaens weder Latein noch Altgriechisch und war nie im Ausland. Doch er sprach gut Französisch. Zudem schuf er viele Gemälde zu antiken Themen, die profunde Kenntnis mythologischer Figuren oder Motive und originellen Umgang mit ihnen verraten. Jordaens´ Bildung und Horizont waren seinen berühmten Kollegen ebenbürtig: Mit dieser These will ihn die Ausstellung rehabilitieren.

 

Wüste Spektakel menschlicher Schwächen

 

Was ihr glänzend gelingt, weil sie keinen Aufwand scheut. In Brüssel, erste Station dieser Schau, befindet sich der größte Bestand seiner Werke. Die Kasseler Gemäldegalerie besitzt mit 13 Gemälden die größte Jordaens-Kollektion in Deutschland. Dazu kommen etliche Leihgaben aus ganz Europa; insgesamt mehr als 100 Exponate, darunter Skulpturen aus der Kasseler Antiken-Sammlung.

 

Gruppiert nach Sujets, macht die Präsentation deutlich, wie freimütig der flämische Barock mit antiken Vorbildern umging. Dionysien-Darstellungen auf römischen Sarkophagen zeigen noch gesittete Umzüge, die ein glückliches Leben im Jenseits versprechen. Auf Bildern von Jordaens und Kollegen werden Bacchanalien zu wüsten, sehr diesseitigen Spektakeln; sie führen lustvoll menschliche Schwächen vor und verspotten sie zugleich.

 

Materialschlacht mit erotischen Untertönen

 

Ähnlich bei den beliebten «Allegorien der Fruchtbarkeit»: Was in Rom noch ein Ceres-Kult mit sparsamen Attributen war, wird nun zur überbordenden Materialschlacht mit allem, was Garten, Feld und Wald hergeben – und kaum zu übersehenden erotischen Untertönen. Hier zeigen die Niederlande stolz ihren Wohlstand vor, den sie als Handelsmacht in wenigen Jahrzehnten erworben hatten.

 

Jordaens lernte bei Adam van Noort wie der 16 Jahre ältere Rubens und arbeitete danach wohl einige Zeit in dessen Werkstatt. Im direkten Vergleich fällt auf, dass Rubens stets um ausgewogene, harmonische Kompositionen bemüht ist; seine Figuren weisen trotz barocker Theatralik immer auch edle, würdevolle Anmutung auf.