Călin Peter Netzer

Mutter & Sohn – Child’s Pose

Cornelia (Luminiţa Gheorghiu) feiert ihren Geburtstag im Kreis ihrer Freunde. Foto: Parada Film
(Kinostart: 23.5.) Berlinale-Siegerfilm 2013: Regisseur Netzer lässt eine überfürsorgliche Glucke und ihren unselbstständig-passiven Sohn sich gegenseitig zerfleischen. Konsequent kühles Psychodrama über eine verkorkste Mutter-Kind-Beziehung.

Man kann diese Frau kaum mögen; auch zu verstehen ist sie nur schwer. Als Mutter möchte man Cornelia (Luminiţa Gheorghiu) sicher nicht haben. Cornelia ist sechzig Jahre alt, erfolgreiche Architektin in Bukarest und Mutter eines 35-jährigen Sohnes. Barbu (Bogdan Dumitrache) macht ihr Kummer, da er sie nicht so oft sehen möchte, wie sie wünscht. Außerdem lebt er mit seiner Freundin Carmen (Ilinca Goia) zusammen, der Cornelia misstraut.

 

Info

 

Mutter & Sohn -
Child's Pose

 

Regie: Călin Peter Netzer

112 Min., Rumänien 2013;

mit: Luminiţa Gheorghiu, Bogdan Dumitrache, Ilinca Goia

 

Website zum Film

 

Als Barbu einen Verkehrsunfall auf dem Land verursacht, bei dem ein Junge getötet wird, kommt Cornelias große Stunde. Rücksichtslos zieht sie alle Register, um ihr eigenes Kind aus dem Schlamassel herauszupauken. Auf dem Polizeirevier überredet sie ihren Sohn, seine schriftliche Aussage nachträglich zu revidieren.

 

Mama macht das schon

 

Anschließend übernimmt sie die Verhandlungen mit allen Beteiligten. Bei der Polizei sorgt sie dafür, dass das Unfallgutachten günstig ausfällt; sie versucht sogar, den einzigen Zeugen des Unfalls mit einer hohen Summe zu bestechen. Cornelia will doch nur das Beste für ihr Kind.

Offizieller Filmtrailer


 

Mitleidlose Handkamera verbietet Empathie

 

So abstoßend ihr Gebaren auch ist, so unsympathisch verhält sich ihr Sohn. Barbu behandelt seine Mutter abweisend und abfällig, bleibt selbst aber untätig; damit schafft er es nicht, ihr nimmermüdes Wirken zu seinen Gunsten wirkungsvoll einzudämmen.

 

Beide Protagonisten, die überfürsorgliche Mutter wie ihr fremdbestimmter Sohn, könnten dem Zuschauer leid tun. Das verhindert Regisseur Călin Peter Netzer: Seine unterkühlt pseudo-dokumentarische Inszenierung, oft mit wackelnder Handkamera, führt das Fehlverhalten dieser Neurotiker quasi objektiv und mitleidlos konsequent vor. Was dafür sorgt, dass sich jegliche Empathie verbietet.

 

Starke gesellschaftliche Spaltung

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Ehrenmedaille" - von Peter Călin Netzer über einen rumänischen Rentner-Hochstapler

 

und hier einen Beitrag über den Film "Periferic - Outbound" - packendes Mutter-Kind-Drama in Bukarest von Bogdan George Apetri

 

und hier einen kultiversum-Bericht über den Film "Mother" von Bong Joon-Ho über eine Übermutter in Südkorea.

 

Erst im letzten Viertel des Films kommen Gefühle zum Vorschein, als Cornelia die Familie des gestorbenen Jungen in ihrem Dorf besucht. Die Trauer der anderen Mutter – die erste ausführlich gezeigte menschliche Regung – öffnet auch bei Cornelia die Schleusen. Sie beklagt nun tränenreich den «Verlust» ihres eigenen Sohnes, soll heißen: ihrer einst innigen Mutter-Kind-Beziehung.

 

Dabei zeigt der deutsch-rumänische Regisseur Netzer eine starke gesellschaftliche Spaltung. Die Familie des toten Jungen in der Provinz sind einfache Leute; neben ihrer ohnmächtigen Trauer haben sie nichts, um ihre triste Lage zu ändern oder zu erleichtern.

 

Teufelskreis der Kindes-Kontrolle

 

Dagegen kann Cornelia als Angehörige des hauptstädtischen Großbürgertums alle Hebel in Bewegung setzen, um ihre Ziele zu erreichen. Polizei, Gutachter, Zeugen – alle sind käuflich oder zumindest beeinflussbar. Selbst die Bindung ihres Sohnes kann sie erzwingen; nur nicht seine Mutterliebe.

 

Denn Cornelia verweigert sich der Einsicht, dass sie durch Bevormundung und Kontrolle die Unmündigkeit, Passivität und Groll ihres Sohnes verstärkt, womit sie ihre nächsten Übergriffe rechtfertigt. Dass dieser Kreislauf bestehen bleibt, ist ihr sehr wichtig: «Er ist doch alles, was ich habe.»

 

Doch Netzer hat kein Sozial-, sondern ein Psycho-Drama gedreht; der Film fokussiert auf die wenigen Protagonisten und ihre hoffnungslos verkorksten Beziehungen untereinander. Sie werden mitleidlos kühl ausgestellt – und eine möglich positive Wendung am Ende nur vage angedeutet.